Vor dem letzten Atemzug

No­ti­zen zu ei­ner Hin­rich­tung : Ro­man / Danya Ku­kaf­ka ; aus dem Ame­ri­ka­ni­schen von An­drea O’­Bri­en. – Ber­lin : Blu­men­bar, 2024. (978–3‑351–05121‑1)

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Ein Blick zu­rück

An­sel Pa­cker war­tet in ei­ner te­xa­ni­schen To­des­zel­le auf sei­ne Hin­rich­tung. Er hat nur noch we­ni­ge Stun­den zu le­ben. Doch der Ro­man er­zählt nicht in ers­ter Li­nie sei­ne Sicht. Statt­des­sen kom­men die Frau­en zu Wort, die ihm im Lau­fe sei­nes Le­bens be­geg­net sind. Sie zei­gen, wie An­sel zu dem Men­schen wur­de, der er am Ende ist. Da­mit legt Danya Ku­kaf­ka den Fo­kus nicht auf die Ge­walt selbst, son­dern auf die Men­schen, die da­von be­trof­fen sind.

Eine die­ser Frau­en ist La­vi­nia, die Er­mitt­le­rin, die jah­re­lang an dem Fall ge­ar­bei­tet hat. Sie möch­te ver­ste­hen, war­um man­che Men­schen schwe­re Ver­bre­chen be­ge­hen. Ihre Ge­dan­ken len­ken den Blick auf grös­se­re Fra­gen: Wie ent­steht Schuld? Wel­che Ver­ant­wor­tung hat die Ge­sell­schaft? Und was be­deu­tet Ge­rech­tig­keit, wenn ein Le­ben ge­nom­men wur­de?

Wir tref­fen auch auf Reva, An­sels Mut­ter. Sie kämpft mit ei­ge­ner Über­for­de­rung und schwie­ri­gen Le­bens­be­din­gun­gen. Ku­kaf­ka be­schreibt sie we­der als Schul­di­ge noch als Op­fer, son­dern als Teil ei­ner Um­ge­bung, die An­sel ge­prägt hat. Die­se lei­sen und oft über­se­he­nen Mo­men­te ma­chen den Ro­man be­son­ders ein­drück­lich.

Eine an­de­re wich­ti­ge Fi­gur ist Ha­zel, die Schwes­ter sei­ner spä­te­ren Schwä­ge­rin. Sie er­lebt, wie An­sel lang­sam in das Le­ben ih­rer Fa­mi­lie tritt. Ihre Be­ob­ach­tun­gen zei­gen, wie schwie­rig es sein kann, ge­fähr­li­che Men­schen früh zu er­ken­nen. Gleich­zei­tig wird spür­bar, wie fest Schick­sa­le mit­ein­an­der ver­knüpft sein kön­nen.

Danya Ku­kaf­ka schreibt ru­hig und klar. Sie ver­zich­tet auf grau­sa­me De­tails. Statt­des­sen zeigt sie, wie Ge­walt ent­steht und wie sie das Le­ben der Men­schen ver­än­dert, die da­mit kon­fron­tiert sind. No­ti­zen zu ei­ner Hin­rich­tung ist kein klas­si­scher Kri­mi­nal­ro­man. Es ist ein nach­denk­li­ches Buch über Ver­ant­wor­tung, Trau­er und die Fra­ge, ob Stra­fe wirk­lich Ant­wor­ten lie­fert.

Am Ende bleibt die Hin­rich­tung selbst fast im Hin­ter­grund. Wich­ti­ger sind die Stim­men der Frau­en, die sich mit An­sels Le­ben aus­ein­an­der­set­zen müs­sen. Der Ro­man lädt dazu ein, nicht nur den Tä­ter zu se­hen, son­dern alle, die mit den Fol­gen sei­nes Han­delns le­ben.

Jas­mi­ne Mei­er & Bi­an­ca Kru­cker, Bi­blio­thek Stein AR