Wie schwer und zart kann Liebe sein

Das Schwarz an den Hän­den mei­nes Va­ters : Ro­man / Lena Schät­te. – Frank­furt am Main : S. Fi­scher, 2025. (978–3‑10–397657‑1)

Nach «Ruhr­pott­lie­be», er­schie­nen 2014, folgt nun der zwei­te Ro­man der 1993 in Lü­den­scheid ge­bo­re­nen Lena Schät­te.

Im Buch «Das Schwarz an den Hän­den mei­nes Va­ters» schil­dert sie ein­drucks­voll das Auf­wach­sen in ei­ner Fa­mi­lie, die von Al­ko­ho­lis­mus und Sprach­lo­sig­keit ge­prägt ist. Im Zen­trum steht die Ich-Er­zäh­le­rin Mot­te, die in ei­nem klei­nen Dorf im Sau­er­land lebt und mit der Kom­ple­xi­tät der Be­zie­hung zu ih­rem al­ko­hol­kran­ken Va­ter kon­fron­tiert wird. Der Va­ter wird als am­bi­va­len­te Fi­gur dar­ge­stellt – ei­ner­seits lie­be­voll, an­de­rer­seits un­be­stän­dig und zer­stö­re­risch. Mot­te schil­dert ihn als je­man­den, «der mir am liebs­ten die Welt er­klärt hat, wenn er zwei Pro­mil­le hat­te». In nüch­ter­nen Mo­men­ten ist er für­sorg­lich, bringt der Toch­ter Bü­cher mit, kocht, ist zu­ge­wandt. Doch sei­ne Al­ko­hol­sucht macht ihn un­be­re­chen­bar. Der Ro­man schil­dert wie­der­holt Sze­nen, in de­nen Mot­te die Stim­mung des Va­ters wie ein Ba­ro­me­ter ab­le­sen muss: «Wenn er zu lei­se war, wur­de ich wach­sam.»

Ge­ne­ra­tio­nen­last

Der Al­ko­hol zieht sich wie ein ro­ter Fa­den durch die Ge­ne­ra­tio­nen: Schon die Gross­vä­ter tran­ken, auch Mot­te selbst ent­wi­ckelt spä­ter ein pro­ble­ma­ti­sches Ver­hält­nis zum Al­ko­hol. «Ich habe früh ge­lernt, wie man mit Bier­fla­schen klap­pert, ohne dass es auf­fällt», sagt sie rück­bli­ckend. Die Er­zäh­lung ver­weist so­mit nicht nur auf in­di­vi­du­el­les Leid, son­dern auch auf ge­sell­schaft­li­che Mus­ter und fa­mi­liä­re Ver­stri­ckun­gen. Die Mut­ter bleibt häu­fig pas­siv, ver­mit­telt, ver­sucht zu schüt­zen, ist aber gleich­zei­tig über­for­dert. Der Bru­der er­scheint als ru­hen­der Pol – prag­ma­tisch, un­ter­stüt­zend, über­nimmt Ver­ant­wor­tung. Trotz al­ler Här­te, zeigt die Fa­mi­lie Zu­sam­men­halt. Aus Lie­be und Scham blei­ben sie in ei­nem Netz aus Lü­gen, Schwei­gen und Schutz­be­haup­tun­gen ge­fan­gen. «Wir ha­ben nicht ge­spro­chen. Nur funk­tio­niert.»

Be­son­ders ein­drück­lich ist die Schil­de­rung der Krank­heit des Va­ters: Als bei ihm Krebs im End­sta­di­um dia­gnos­ti­ziert wird, be­ginnt ein lang­sa­mer, aber schmerz­haf­ter Pro­zess des Ab­schieds. Die Toch­ter ringt um Nähe und Klar­heit, weiss aber auch, dass nicht al­les ge­sagt wer­den kann. «Ich woll­te ihn fra­gen, war­um. Aber ich wuss­te, er wür­de sa­gen: Weiss ich nicht.»

Er­drü­cken­des Schwei­gen

Die Er­zäh­lung ist nicht chro­no­lo­gisch, son­dern frag­men­ta­risch, was die Zer­ris­sen­heit der in­ne­ren und äus­se­ren Welt der Prot­ago­nis­tin wi­der­spie­gelt. Es sind Mo­ment­auf­nah­men, Er­in­ne­rungs­fet­zen, in­ti­me Be­ob­ach­tun­gen zwi­schen Ge­gen­wart und Ver­gan­gen­heit. Viel Un­aus­ge­spro­che­nes steht zwi­schen den Zei­len. «Ich habe ge­lernt, mit den Au­gen zu spre­chen, wenn die Zun­ge streikt», heisst es an ei­ner Stel­le.

Lena Schät­te schreibt prä­zi­se und schnör­kel­los. Das Buch lässt sich trotz der in­halt­li­chen Schwe­re leicht le­sen. Die Fa­mi­li­en­mit­glie­der ha­ben sich gern, die Stim­mung ist nicht böse oder angst­er­füllt, zeigt aber die Aus­wir­kun­gen ei­ner Sucht auf har­te Wei­se. In In­ter­views be­tont sie: «Ich woll­te ei­nen Ro­man schrei­ben, der nicht auf Ef­fek­te setzt, son­dern die Rea­li­tät so zeigt, wie sie war – ohne Mit­leid, aber mit Mit­ge­fühl.»

Eine ein­drucks­vol­le, be­we­gen­de Ge­schich­te, die sich ei­ni­ger wich­ti­ger ge­sell­schaft­li­cher The­men an­nimmt. Es geht um die Su­che nach Iden­ti­tät, über fa­mi­liä­re Loya­li­tät, über Sprach­lo­sig­keit und Ab­hän­gig­keit.

Fran­zis­ka Tschu­mi, Bi­blio­thek He­ris­au