- Bibliothek Herisau
- 24. Juli 2025
Wie schwer und zart kann Liebe sein
Das Schwarz an den Händen meines Vaters : Roman / Lena Schätte. – Frankfurt am Main : S. Fischer, 2025. (978–3‑10–397657‑1)

Nach «Ruhrpottliebe», erschienen 2014, folgt nun der zweite Roman der 1993 in Lüdenscheid geborenen Lena Schätte.
Im Buch «Das Schwarz an den Händen meines Vaters» schildert sie eindrucksvoll das Aufwachsen in einer Familie, die von Alkoholismus und Sprachlosigkeit geprägt ist. Im Zentrum steht die Ich-Erzählerin Motte, die in einem kleinen Dorf im Sauerland lebt und mit der Komplexität der Beziehung zu ihrem alkoholkranken Vater konfrontiert wird. Der Vater wird als ambivalente Figur dargestellt – einerseits liebevoll, andererseits unbeständig und zerstörerisch. Motte schildert ihn als jemanden, «der mir am liebsten die Welt erklärt hat, wenn er zwei Promille hatte». In nüchternen Momenten ist er fürsorglich, bringt der Tochter Bücher mit, kocht, ist zugewandt. Doch seine Alkoholsucht macht ihn unberechenbar. Der Roman schildert wiederholt Szenen, in denen Motte die Stimmung des Vaters wie ein Barometer ablesen muss: «Wenn er zu leise war, wurde ich wachsam.»
Generationenlast
Der Alkohol zieht sich wie ein roter Faden durch die Generationen: Schon die Grossväter tranken, auch Motte selbst entwickelt später ein problematisches Verhältnis zum Alkohol. «Ich habe früh gelernt, wie man mit Bierflaschen klappert, ohne dass es auffällt», sagt sie rückblickend. Die Erzählung verweist somit nicht nur auf individuelles Leid, sondern auch auf gesellschaftliche Muster und familiäre Verstrickungen. Die Mutter bleibt häufig passiv, vermittelt, versucht zu schützen, ist aber gleichzeitig überfordert. Der Bruder erscheint als ruhender Pol – pragmatisch, unterstützend, übernimmt Verantwortung. Trotz aller Härte, zeigt die Familie Zusammenhalt. Aus Liebe und Scham bleiben sie in einem Netz aus Lügen, Schweigen und Schutzbehauptungen gefangen. «Wir haben nicht gesprochen. Nur funktioniert.»
Besonders eindrücklich ist die Schilderung der Krankheit des Vaters: Als bei ihm Krebs im Endstadium diagnostiziert wird, beginnt ein langsamer, aber schmerzhafter Prozess des Abschieds. Die Tochter ringt um Nähe und Klarheit, weiss aber auch, dass nicht alles gesagt werden kann. «Ich wollte ihn fragen, warum. Aber ich wusste, er würde sagen: Weiss ich nicht.»
Erdrückendes Schweigen
Die Erzählung ist nicht chronologisch, sondern fragmentarisch, was die Zerrissenheit der inneren und äusseren Welt der Protagonistin widerspiegelt. Es sind Momentaufnahmen, Erinnerungsfetzen, intime Beobachtungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Viel Unausgesprochenes steht zwischen den Zeilen. «Ich habe gelernt, mit den Augen zu sprechen, wenn die Zunge streikt», heisst es an einer Stelle.
Lena Schätte schreibt präzise und schnörkellos. Das Buch lässt sich trotz der inhaltlichen Schwere leicht lesen. Die Familienmitglieder haben sich gern, die Stimmung ist nicht böse oder angsterfüllt, zeigt aber die Auswirkungen einer Sucht auf harte Weise. In Interviews betont sie: «Ich wollte einen Roman schreiben, der nicht auf Effekte setzt, sondern die Realität so zeigt, wie sie war – ohne Mitleid, aber mit Mitgefühl.»
Eine eindrucksvolle, bewegende Geschichte, die sich einiger wichtiger gesellschaftlicher Themen annimmt. Es geht um die Suche nach Identität, über familiäre Loyalität, über Sprachlosigkeit und Abhängigkeit.
Franziska Tschumi, Bibliothek Herisau