«Als er ging, war ich hundert Elefanten leichter»

Wie lan­ge ist nie mehr : le­ben im An­ge­sicht der End­lich­keit : Me­moir / Do­ris Bü­chel. – La­chen : Wör­ter­seh, 2025. (978–3‑03763–161‑4)

Do­ris Bü­chel, bis­her be­kannt als Jour­na­lis­tin und Au­torin von bio­gra­fi­schen Re­por­ta­gen, of­fen­bart in ih­rem Buch «Wie lan­ge ist nie mehr» ihr In­ners­tes. Sie schreibt über End­lich­keit und Ver­lust, aber auch über ver­schie­de­ne Er­fah­run­gen in ih­rem Le­ben.

Schrei­ben, um sich zu fin­den

Die Ich-Er­zäh­le­rin fin­det nach ei­ner per­sön­li­chen Kri­se Halt im Schrei­ben. Fort­an fährt sie jähr­lich al­lein in die Fe­ri­en und nimmt sich eine Schreib­aus­zeit. Sie er­in­nert sich an den Weg, den sie be­ruf­lich und pri­vat ge­gan­gen ist. Die Er­in­ne­run­gen an die ei­ge­ne Kind­heit, Fa­mi­lie oder Rei­sen flies­sen in die Su­che nach ei­ner neu­en Auf­ga­be ein. Die vie­len klei­nen Ge­schich­ten re­gen zum Nach­den­ken und zu be­wuss­tem In­ne­hal­ten an: Was, wenn ich nur noch we­ni­ge Wo­chen hät­te? Wie wür­de ich le­ben, wen wür­de ich lie­ben, was wür­de blei­ben?

Brie­fe, die Ver­söh­nung brin­gen

Die Schreib­zeit hilft ihr, her­aus­zu­fin­den, was ihr gut­tut. Sie möch­te bio­gra­fi­sche Ge­schich­ten schrei­ben, denn ihr Herz schlägt für Men­schen. So er­zählt ihr Frau R. aus ih­rem Le­ben – und da­von, wie schlecht es ihr geht, weil sich der Kon­takt mit dem Bru­der auf ein Mi­ni­mum be­schränkt hat. Nach­dem Frau R. über den Vor­schlag nach­ge­dacht hat, dem Bru­der ei­nen Brief zu schrei­ben, nimmt sie das An­ge­bot an. Sie er­zählt die Ge­schich­te, Do­ris Bü­chel schreibt den Brief, den Frau R. auch ab­schickt. Es kommt zur Ver­söh­nung. «Als er ging, war ich hun­dert Ele­fan­ten leich­ter», sagt Frau R. dank­bar.   

So ent­steht aus den Ge­schich­ten, die «men­scheln», der Wunsch, für Men­schen Brie­fe zu schrei­ben, die es aus ir­gend­wel­chen Grün­den nicht oder nicht mehr selbst kön­nen. Eine Lis­te mit Men­schen und In­sti­tu­tio­nen ent­steht, mit de­nen sie über den Wunsch spre­chen möch­te. Be­vor sie da­mit an­fan­gen kann, er­hält sie eine An­fra­ge für eine ganz an­de­re Schreib­ar­beit von ei­ner Per­son auf der Lis­te: dem Pfle­ge­dienst­leis­ter Hos­piz im Wer­den­berg. Bei ei­nem Ge­spräch wird rasch klar, dass der Wunsch, Brie­fe zu schrei­ben, dem the­ra­peu­ti­schen An­satz der «Wür­de­zen­trier­ten The­ra­pie» ent­spricht. Durch ge­lei­te­tes Er­zäh­len wer­den be­stimm­te The­men des Le­bens be­trach­tet und re­flek­tiert und vom In­ter­view­er oder der In­ter­viewe­rin an­schlies­send in eine schrift­li­che Form ge­bracht.

So macht sie eine Wei­ter­bil­dung in «Wür­de­zen­trier­ter The­ra­pie» und fängt an für Hos­piz­gäs­te Brie­fe zu schrei­ben. Die den Brie­fen vor­an­ge­hen­den Be­geg­nun­gen leh­ren sie mehr über Le­ben und Tod als vie­les an­de­re.

Ein Buch zum Nach­den­ken

Das Buch ist kein Rat­ge­ber, son­dern ein li­te­ra­ri­sches Me­moir. Es han­delt nicht vom Tod oder vom Ster­ben. Aber es ist ein Auf­ruf, sich da­mit aus­ein­an­der­zu­set­zen. Die Mi­schung aus Er­zäh­lun­gen und Er­fah­run­gen, Rei­se­im­pres­sio­nen, kind­li­chen Er­in­ne­run­gen und den Be­geg­nun­gen im Hos­piz ver­bin­det Le­bens­fin­dung mit ei­ner Be­sin­nung auf das We­sent­li­che.

Do­ris Köp­pel, Kan­tons- und Volks­bi­blio­thek Ap­pen­zell