- Kantons- und Volksbibliothek Appenzell
- 26. Juni 2025
«Als er ging, war ich hundert Elefanten leichter»
Wie lange ist nie mehr : leben im Angesicht der Endlichkeit : Memoir / Doris Büchel. – Lachen : Wörterseh, 2025. (978–3‑03763–161‑4)

Doris Büchel, bisher bekannt als Journalistin und Autorin von biografischen Reportagen, offenbart in ihrem Buch «Wie lange ist nie mehr» ihr Innerstes. Sie schreibt über Endlichkeit und Verlust, aber auch über verschiedene Erfahrungen in ihrem Leben.
Schreiben, um sich zu finden
Die Ich-Erzählerin findet nach einer persönlichen Krise Halt im Schreiben. Fortan fährt sie jährlich allein in die Ferien und nimmt sich eine Schreibauszeit. Sie erinnert sich an den Weg, den sie beruflich und privat gegangen ist. Die Erinnerungen an die eigene Kindheit, Familie oder Reisen fliessen in die Suche nach einer neuen Aufgabe ein. Die vielen kleinen Geschichten regen zum Nachdenken und zu bewusstem Innehalten an: Was, wenn ich nur noch wenige Wochen hätte? Wie würde ich leben, wen würde ich lieben, was würde bleiben?
Briefe, die Versöhnung bringen
Die Schreibzeit hilft ihr, herauszufinden, was ihr guttut. Sie möchte biografische Geschichten schreiben, denn ihr Herz schlägt für Menschen. So erzählt ihr Frau R. aus ihrem Leben – und davon, wie schlecht es ihr geht, weil sich der Kontakt mit dem Bruder auf ein Minimum beschränkt hat. Nachdem Frau R. über den Vorschlag nachgedacht hat, dem Bruder einen Brief zu schreiben, nimmt sie das Angebot an. Sie erzählt die Geschichte, Doris Büchel schreibt den Brief, den Frau R. auch abschickt. Es kommt zur Versöhnung. «Als er ging, war ich hundert Elefanten leichter», sagt Frau R. dankbar.
So entsteht aus den Geschichten, die «menscheln», der Wunsch, für Menschen Briefe zu schreiben, die es aus irgendwelchen Gründen nicht oder nicht mehr selbst können. Eine Liste mit Menschen und Institutionen entsteht, mit denen sie über den Wunsch sprechen möchte. Bevor sie damit anfangen kann, erhält sie eine Anfrage für eine ganz andere Schreibarbeit von einer Person auf der Liste: dem Pflegedienstleister Hospiz im Werdenberg. Bei einem Gespräch wird rasch klar, dass der Wunsch, Briefe zu schreiben, dem therapeutischen Ansatz der «Würdezentrierten Therapie» entspricht. Durch geleitetes Erzählen werden bestimmte Themen des Lebens betrachtet und reflektiert und vom Interviewer oder der Interviewerin anschliessend in eine schriftliche Form gebracht.
So macht sie eine Weiterbildung in «Würdezentrierter Therapie» und fängt an für Hospizgäste Briefe zu schreiben. Die den Briefen vorangehenden Begegnungen lehren sie mehr über Leben und Tod als vieles andere.
Ein Buch zum Nachdenken
Das Buch ist kein Ratgeber, sondern ein literarisches Memoir. Es handelt nicht vom Tod oder vom Sterben. Aber es ist ein Aufruf, sich damit auseinanderzusetzen. Die Mischung aus Erzählungen und Erfahrungen, Reiseimpressionen, kindlichen Erinnerungen und den Begegnungen im Hospiz verbindet Lebensfindung mit einer Besinnung auf das Wesentliche.
Doris Köppel, Kantons- und Volksbibliothek Appenzell