Die Geschichte einer jüdischen Emigrantin während der Nazizeit

Die Meis­ter­die­bin / Chris­ti­ne Jaeg­gi. – Ba­sel : Zyt­glog­ge, 2025. (978–3‑7296–5186‑9)

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«Eli­se lehnt sich zu­rück und starrt auf das Buch. Das ist es, sagt sie sich. An­hand ih­rer Auf­zeich­nun­gen wird sie auf ihr Le­ben zu­rück­schau­en und her­aus­fin­den, wie al­les so weit hat­te kom­men kön­nen, und zwar von An­fang an. Fakt ist, dass es in ih­rem Le­ben ei­ni­ge Wen­de­punk­te gab, die sie zu ih­ren Ta­ten an­ge­trie­ben ha­ben und sie zur Els­ter wer­den lies­sen … oder schlicht­weg: zu ei­ner Meis­ter­die­bin.»

Eli­se er­lebt als jun­ge Frau die Macht­über­nah­me der Na­zis in Wien. Sie, ihr Mann und ihre Fa­mi­lie ha­ben ei­nen jü­di­schen Hin­ter­grund und wer­den des­halb im­mer wie­der Ziel und Op­fer von Ge­walt. Nach und nach wird Eli­se be­wusst, in wel­cher Ge­fahr sie schwe­ben. Aber we­der ihre Schwes­ter Ade­le noch ihre Mut­ter Sel­ma wol­len Ös­ter­reich ver­las­sen, zu sehr hän­gen sie an ih­rem Le­ben in Wien. Als bei ei­nem Zwi­schen­fall Eli­ses Mann Jo­na­than von ei­nem SS-Mann ge­tö­tet wird, ist Eli­se fest ent­schlos­sen, Ös­ter­reich zu ver­las­sen. Die Flucht wird für Jü­din­nen und Ju­den im­mer schwie­ri­ger, doch schliess­lich ge­lingt es Eli­se in die Schweiz zu flie­hen. Dort fühlt sich Eli­se ei­ni­ger­mas­sen si­cher. Soll­te sie je­doch «ar­men­ge­nös­sig» wer­den, wür­den die Be­hör­den sie so­fort aus­wei­sen. Als Flücht­ling ist es ihr je­doch nicht er­laubt zu ar­bei­ten – und so wird Eli­se krea­tiv.

Eli­se stellt fest, dass vie­le be­tuch­te Men­schen, dar­un­ter auch Na­zis und an­de­re Per­so­nen aus fa­schis­ti­schen Län­dern, in die Schweiz rei­sen. Sie stel­len ih­ren Reich­tum of­fen zur Schau. Die­se Un­ge­rech­tig­keit be­lei­digt Eli­ses aus­ge­präg­ten Ge­rech­tig­keits­sinn. Eli­se kennt die Ho­tels und die Orte aus ei­ge­nen Rei­sen mit ih­rem Mann und weiss sich auch in der ge­ho­be­nen Ge­sell­schaft zu be­we­gen. Sie checkt in den ent­spre­chen­den Ho­tels ein und mischt sich un­ter die Gäs­te. Wenn alle schla­fen, stiehlt sie Schmuck und Wert­sa­chen aus den Zim­mern. Von Mal zu Mal wird sie ge­schick­ter und über vie­le Jah­re ge­lingt es ihr, ihre Ta­ten vor al­len ge­heim zu hal­ten: vor ih­rer Mut­ter und ih­rer Schwes­ter, vor ih­rer Tan­te, vor ih­ren Freun­den und vor al­lem vor der Po­li­zei und den Be­hör­den. Mit dem Geld aus dem Ver­kauf fi­nan­ziert sie nicht nur ihr Le­ben, son­dern un­ter­stützt auch jü­di­sche Hilfs­or­ga­ni­sa­tio­nen. Da­mit trägt sie ih­rer Mei­nung nach zu aus­glei­chen­der Ge­rech­tig­keit bei.

Als In­spi­ra­ti­on für die­sen Ro­man dien­te die wah­re Le­bens­ge­schich­te von Eri­ka Böhm. In ih­rem Nach­wort schreibt die Au­torin: «Ich sah eine Frau, der al­les ge­nom­men wur­de und die sich für ihre Fa­mi­lie auf­op­fern wür­de. Sie war stark und ver­letz­lich zu­gleich, lei­den­schaft­lich und mu­tig. Von Ra­che und ei­nem un­er­schüt­ter­li­chen Sinn für Ge­rech­tig­keit ge­trie­ben, be­stahl sie die Na­zis in den Schwei­zer Grand­ho­tels. In die­sem Mo­ment wur­de die Fi­gur für mich le­ben­dig und so ent­stand Eli­se – eine Mi­schung aus Fik­ti­on und Rea­li­tät.»

Gleich zu Be­ginn des Bu­ches wis­sen wir, dass Eli­ses Ma­chen­schaf­ten ein Ende ha­ben und sie ge­fasst wur­de. Trotz­dem fie­bern wir bei den ein­zel­nen Dieb­stäh­len mit und stau­nen, wie ge­schickt Eli­se vor­geht, auch beim Ver­kauf der Beu­te. Und ob­wohl ihr Han­deln nicht rich­tig ist und sie da­durch selbst zur Kri­mi­nel­len wird, hat Eli­se von An­fang an mei­ne Sym­pa­thie. Es ist be­ein­dru­ckend, wie es der Au­torin ge­lun­gen ist, die im Nach­wort vor­ge­stell­te rea­le Per­son in eine so le­ben­di­ge Ro­man­fi­gur zu ver­wan­deln.

Da­nie­la Horst, Bi­blio­thek Teu­fen