- Bibliothek Teufen
- 22. Mai 2025
Die Geschichte einer jüdischen Emigrantin während der Nazizeit
Die Meisterdiebin / Christine Jaeggi. – Basel : Zytglogge, 2025. (978–3‑7296–5186‑9)
Erhältlich auch als E‑Book unter:

«Elise lehnt sich zurück und starrt auf das Buch. Das ist es, sagt sie sich. Anhand ihrer Aufzeichnungen wird sie auf ihr Leben zurückschauen und herausfinden, wie alles so weit hatte kommen können, und zwar von Anfang an. Fakt ist, dass es in ihrem Leben einige Wendepunkte gab, die sie zu ihren Taten angetrieben haben und sie zur Elster werden liessen … oder schlichtweg: zu einer Meisterdiebin.»
Elise erlebt als junge Frau die Machtübernahme der Nazis in Wien. Sie, ihr Mann und ihre Familie haben einen jüdischen Hintergrund und werden deshalb immer wieder Ziel und Opfer von Gewalt. Nach und nach wird Elise bewusst, in welcher Gefahr sie schweben. Aber weder ihre Schwester Adele noch ihre Mutter Selma wollen Österreich verlassen, zu sehr hängen sie an ihrem Leben in Wien. Als bei einem Zwischenfall Elises Mann Jonathan von einem SS-Mann getötet wird, ist Elise fest entschlossen, Österreich zu verlassen. Die Flucht wird für Jüdinnen und Juden immer schwieriger, doch schliesslich gelingt es Elise in die Schweiz zu fliehen. Dort fühlt sich Elise einigermassen sicher. Sollte sie jedoch «armengenössig» werden, würden die Behörden sie sofort ausweisen. Als Flüchtling ist es ihr jedoch nicht erlaubt zu arbeiten – und so wird Elise kreativ.
Elise stellt fest, dass viele betuchte Menschen, darunter auch Nazis und andere Personen aus faschistischen Ländern, in die Schweiz reisen. Sie stellen ihren Reichtum offen zur Schau. Diese Ungerechtigkeit beleidigt Elises ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Elise kennt die Hotels und die Orte aus eigenen Reisen mit ihrem Mann und weiss sich auch in der gehobenen Gesellschaft zu bewegen. Sie checkt in den entsprechenden Hotels ein und mischt sich unter die Gäste. Wenn alle schlafen, stiehlt sie Schmuck und Wertsachen aus den Zimmern. Von Mal zu Mal wird sie geschickter und über viele Jahre gelingt es ihr, ihre Taten vor allen geheim zu halten: vor ihrer Mutter und ihrer Schwester, vor ihrer Tante, vor ihren Freunden und vor allem vor der Polizei und den Behörden. Mit dem Geld aus dem Verkauf finanziert sie nicht nur ihr Leben, sondern unterstützt auch jüdische Hilfsorganisationen. Damit trägt sie ihrer Meinung nach zu ausgleichender Gerechtigkeit bei.
Als Inspiration für diesen Roman diente die wahre Lebensgeschichte von Erika Böhm. In ihrem Nachwort schreibt die Autorin: «Ich sah eine Frau, der alles genommen wurde und die sich für ihre Familie aufopfern würde. Sie war stark und verletzlich zugleich, leidenschaftlich und mutig. Von Rache und einem unerschütterlichen Sinn für Gerechtigkeit getrieben, bestahl sie die Nazis in den Schweizer Grandhotels. In diesem Moment wurde die Figur für mich lebendig und so entstand Elise – eine Mischung aus Fiktion und Realität.»
Gleich zu Beginn des Buches wissen wir, dass Elises Machenschaften ein Ende haben und sie gefasst wurde. Trotzdem fiebern wir bei den einzelnen Diebstählen mit und staunen, wie geschickt Elise vorgeht, auch beim Verkauf der Beute. Und obwohl ihr Handeln nicht richtig ist und sie dadurch selbst zur Kriminellen wird, hat Elise von Anfang an meine Sympathie. Es ist beeindruckend, wie es der Autorin gelungen ist, die im Nachwort vorgestellte reale Person in eine so lebendige Romanfigur zu verwandeln.
Daniela Horst, Bibliothek Teufen