Das Ende von allem

Das Ende von al­lem* : *as­tro­phy­si­ka­lisch be­trach­tet / Ka­tie Mack ; aus dem Eng­li­schen über­setzt von Jens Ha­ge­stedt. – Mün­chen : Pi­per, 2021. (978–3‑492–07080‑5)

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Schon der Ti­tel «Das Ende von al­lem» ist mit ei­nem Stern­chen ver­se­hen, das gleich be­ru­hi­gend ein­ord­net: *as­tro­phy­si­ka­lisch be­trach­tet. Die Au­torin Ka­tie Mack, As­sis­tenz­pro­fes­so­rin für Theo­re­ti­sche Kos­mo­lo­gie an der North Ca­ro­li­na Sta­te Uni­ver­si­ty, be­schreibt in den ers­ten bei­den Ka­pi­teln den Ur­sprung und die Ent­wick-lung des Uni­ver­sums an­hand von Theo­rien und Be­ob­ach­tun­gen auf dem neu­es­ten Stand der For­schung. Der Rest des Bu­ches ist dem ti­tel­ge­ben­den Ende des Uni­ver­sums ge­wid­met. Fünf Sze­na­ri­en sind heu­te denk­bar (wört­lich!).

Der «Gros­se Kol­laps» (Big Crunch): Die Ex­pan­si­on des Uni­ver­sums könn­te sich um­keh­ren, so dass es schliess­lich wie­der kol­la­biert. Der «Gros­se Frost» (Big Free­ze): Das Uni­ver­sum dehnt sich unge-bremst wei­ter aus und es ent­steht ein kal­tes, leb­lo­ses Nichts. Der «Wär­me­tod» (Heat De­ath): Ähn­lich wie beim Gros­sen Frost dehnt sich das Uni­ver­sum wei­ter aus und er­reicht die ma­xi­ma­le En­tro­pie («En­er­gie­ver­tei-lung»), was wei­te­re Pro­zes­se und Struk­tu­ren un­mög­lich macht. Al­les steht buch­stäb­lich still. Der «Gros­se Riss» (Big Rip): Die nach­ge­wie­se­ne, be­schleu­nig­te Ex­pan­si­on des Uni­ver­sums könn­te so stark wer­den, dass so­gar Ato­me aus­ein­an­der­ge­ris­sen wer­den. Und schliess­lich der Va­ku­um­zer­fall (Va­cu­um De­cay): Das heu­ti­ge Va­ku­um im Uni­ver­sum ist (noch) nicht in sei­nem nied­rigs­ten En­er­gie­zu­stand und kann je­der­zeit und au­gen­blick­lich in ein tie­fe­res Va­ku­um zer­fal­len.

Wir ir­ren uns kon­ti­nu­ier­lich em­por

Sel­ten fin­den sich in ei­nem Sach­buch so häu­fig Sät­ze wie «wir wis­sen es nicht», «…wir [wa­ren] bis­lang nicht klug ge­nug» oder «…in­so­fern wis­sen wir also gar nichts». Der Au­torin ge­lingt es, mit gros­ser Be­geis­te­rung die enor­men Er­fol­ge, ein­schliess­lich ih­rer Be­stä­ti­gung durch Ex­pe­ri­ment und Be­ob­ach­tung auf­zu­zei­gen, ohne da­bei die Bo­den­haf­tung zu ver­lie­ren. Schwie­rig ge­nug in der Kos­mo­lo­gie und As­tro­no­mie, wo sich al­les fern vom si­che­ren Bo­den ab­spielt. Es ist un­mög­lich, an ein Ende die­ser Be­mü­hun­gen zu den­ken, aber – und das ist fast pa­ra­dox – es ist mög­lich, über ein Ende von al­lem nach­zu­den­ken. Der jun­ge Alvy Sin­ger in Woo­dy Al­lens Film «An­nie Hall» (1977) for­mu­liert es so: «The uni­ver­se is ever­y­thing and if it’s ex­pan­ding, so­me­day it will break apart and that will be the end of ever­y­thing». Ein acht­jäh­ri­ger Jun­ge bringt es auf den Punkt.

Kos­mo­lo­gie und Teil­chen­phy­sik als «Op­fer ih­res Er­folgs»

Die heu­ti­ge Kos­mo­lo­gie funk­tio­niert. Em­pi­rie und Be­ob­ach­tung be­stä­ti­gen die Theo­rien. Lei­der, so Ka­tie Mack, «wis­sen wir nicht, war­um sie funk­tio­niert». Das Buch regt zu im­mer neu­en Fra­gen an und zwingt zu Le­se­un­ter­bre­chun­gen, weil dies und je­nes nach­ge­schla­gen, re­cher­chiert und zu­min­dest an­satz­wei­se ver­stan-den wer­den will. Was will man mehr von ei­nem ge­lun­ge­nen Buch? Da­bei soll­te uns das Ende un­se­rer Son­ne, aus kos­mo­lo­gi­scher Sicht, ei­gent­lich eher be­un­ru­hi­gen. Für die Kern­fu­si­on im In­ne­ren der Son­ne steht nur noch eine be­grenz­te Men­ge an Was­ser­stoff zur Ver­fü­gung, der zu He­li­um fu­sio­niert wer­den kann. Ver­gli­chen mit den Zeit­räu­men von 180 bis 200 Mil­li­ar­den Jah­ren für ein mög­li­ches Ende des Uni­ver­sums, wird der Kol-laps der Son­ne in­ner­halb der nächs­ten vier bis fünf Mil­li­ar­den Jah­re er­war­tet. Nut­zen wir also die Zeit, es gibt noch viel zu le­sen.

Pa­trick Lipp, Kan­tons­bi­blio­thek Ap­pen­zell Aus­ser­rho­den