Das Bröckeln der menschlichen Würde

Butcher’s Crossing : Ro­man / John Wil­liams ; aus dem ame­ri­ka­ni­schen Eng­lisch von Bern­hard Rob­ben. – Mün­chen : dtv, 2016. (978–3‑423–14518‑3)

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«Ein Buch wie ein Büf­fel, sto­isch, dun­kel, mäch­tig, fast aus­ge­stor­ben.» Das schrieb «Die Welt» über «Butcher’s Crossing» des ame­ri­ka­ni­schen Au­tors John Wil­liams (1922–1994). Im Ori­gi­nal er­schien es 1960, wur­de 1999 wie­der­ent­deckt und 2015 ins Deut­sche über­setzt. Wie auch der Vor­gän­ger «Stoner» von John Wil­liams er­lang­te es Welt­ruhm. Tat­säch­lich ist es ein aus­ser­ge­wöhn­li­ches Buch, das man nicht so schnell ver­gisst.

Büf­fel um Büf­fel

Es ist das Jahr 1870, als der 23-jäh­ri­ge Will An­drews der Eli­te-Uni Har­vard den Rü­cken kehrt. Er will weg von al­lem Alt­be­kann­ten. Was er sucht, ist Echt­heit, Frei­heit und neue Le­bens­kraft. Er glaubt, sei­ne Idea­le und da­mit sich selbst im Wes­ten des Lan­des zu fin­den, in der rau­en Na­tur der Prä­rien. In Butcher’s Crossing, ei­ner klei­nen ab­ge­le­ge­nen Stadt in Kan­sas, trifft An­drews auf Mil­ler, ei­nen er­fah­re­nen Büf­fel­jä­ger. Die­ser be­haup­tet, ein ver­steck­tes Tal in den Co­lo­ra­do Ro­ckies zu ken­nen. Ent­ge­gen den an­de­ren Land­stri­chen sei es noch nicht leer­ge­jagt und be­hei­ma­te im­mense Büf­fel­her­den. Dort zu ja­gen, ver­spricht Mil­ler, wür­de ih­nen Geld und An­se­hen brin­gen. An­drews wird ge­warnt: «Wenn Sie sich den Män­nern an­schlies­sen, ist das Ihr Un­ter­gang.» Trotz­dem wil­ligt er ein und zieht mit Mil­ler und zwei wei­te­ren Män­nern los.

Der Ritt for­dert kör­per­lich al­les von Will. Man lei­det mit, wenn sei­ne Bei­ne vom Sat­tel wund­ge­scheu­ert wer­den oder wenn der Durst in der sen­gen­den Hit­ze zum De­li­ri­um führt. Die Stim­mung zwi­schen den sehr un­ter­schied­li­chen Män­nern ist an­ge­spannt, manch­mal gar feind­se­lig.

Tat­säch­lich fin­den die vier Män­ner nach auf­rei­ben­den Wo­chen das ent­le­ge­ne Tal. Es ist ge­nau­so pracht­voll, wie Mil­ler es ge­schil­dert hat. Doch, aus­ge­löst durch Gier, nimmt statt des er­hoff­ten Trau­mes eine Tra­gö­die ih­ren Lauf.

Wild und lei­se

Da eine Büf­fel­jagd nicht zu mei­nen be­vor­zug­ten The­men ge­hört, war ich zu Be­ginn skep­tisch. «Butcher’s Crossing» hat mich je­doch schnell in sei­nen Bann ge­zo­gen. In nüch­ter­ner Spra­che schreibt John Wil­liams so ge­konnt, dass ich ab­ge­taucht bin in die frem­de Welt. Ich habe die gran­dio­se Land­schaft vor mir ge­se­hen, die Stra­pa­zen und das Grau­en der Jagd mit­er­lebt, habe die Ohn­macht der Män­ner ge­spürt. Be­son­ders fas­zi­niert ha­ben mich die kennt­nis­rei­chen Be­schrei­bun­gen der Über­le­bens­kunst in der wil­den Na­tur und des Hand­werks der Män­ner. Man glaubt, John Wil­liams habe das al­les selbst er­lebt.

«Butcher’s Crossing» ist kei­ne leich­te Kost und das hat sei­ne Rich­tig­keit. Das Ein­drin­gen in Ame­ri­kas Wes­ten und die rück­sichts­lo­se Ab­schlach­tung der Bi­sons ist ein be­schä­men­des Ka­pi­tel des 19. Jahr­hun­derts. Es ist den­noch kein gro­bes Buch. Im Ge­gen­teil: Es sind die lei­sen Töne, die «Butcher’s Crossing» so her­aus­he­ben. Dif­fe­ren­ziert wer­den die Cha­rak­te­re ge­zeich­net, An­drews Zwei­fel, die Ver­än­de­rung sei­nes We­sens, die Fra­ge nach dem Sinn. Zwar sind die Tage auf den Best­sel­ler­lis­ten vor­bei, aber «Butcher’s Crossing» ist ein zeit­lo­ses Buch, das sei­ne Wir­kung nicht ver­liert.

Mar­ti­na Schmid, Bi­blio­Gais