Morgen und für immer

Mor­gen und für im­mer : Ro­man / Er­mal Meta ; aus dem Ita­lie­ni­schen von Pe­ter Klöss. – Mün­chen : han­ser­blau, 2023 (978–3‑446–27644‑4).

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«Der Krieg ent­steht zu­erst in ei­ni­gen we­ni­gen Köp­fen, dann in vie­len Köp­fen, von den Köp­fen wan­dert er in die Hän­de und Bei­ne und von dort in die Au­gen. Und dort, in den Au­gen, bleibt er, auch nach­dem er vor­bei ist. Hal­te dich vom Krieg fern, Ka­jan, sieh nie hin, der Krieg ist furcht­bar. Ich weiss, wo­von ich rede.»

Eine un­er­war­te­te Freund­schaft

Die Ge­schich­te be­ginnt 1943. Ka­jan wächst bei sei­nem Gross­va­ter Be­tim in ei­nem klei­nen Berg­dorf in Al­ba­ni­en nahe der Gren­ze zu Ju­go­sla­wi­en auf. Wäh­rend sei­ne El­tern bei den Par­ti­sa­nen kämp­fen, küm­mert sich Be­tim auf dem ab­ge­le­ge­nen Hof lie­be­voll um sei­nen En­kel. Der Krieg scheint weit weg. Bis ei­nes Ta­ges Cor­ne­li­us auf­taucht, ein deut­scher De­ser­teur. Nach an­fäng­li­cher Skep­sis ent­wi­ckelt sich eine Freund­schaft zwi­schen den Drei­en.

Cor­ne­li­us hilft den Hof zu be­wirt­schaf­ten, lehrt Ka­jan die deut­sche Spra­che und un­ter­rich­tet ihn im Kla­vier­spie­len, was den Jun­gen sein gan­zes Le­ben be­glei­ten wird. Als der Krieg vor­über ist, müs­sen sie von­ein­an­der Ab­schied neh­men, Cor­ne­li­us kehrt zu­rück in sei­ne Hei­mat. «War­um kann er denn nicht hier­blei­ben?» «Weil je­der Fel­sen auf dem Land ste­hen muss, das ihn ge­formt hat.»

Flucht und Sehn­sucht

Al­ba­ni­en ent­wi­ckelt sich nach dem Be­frei­ungs­krieg zu ei­nem kom­mu­nis­tisch ge­präg­ten Re­gime. Ka­jans Mut­ter ist sehr li­ni­en­treu und nimmt nach Kriegs­en­de eine wich­ti­ge Rol­le in der Re­gie­rungs­par­tei ein. Ka­jan macht Kar­rie­re als Pia­nist und un­ter­rich­tet an der Mu­sik­schu­le, wo er sich in Eliza­be­ta ver­liebt. Sei­ne Lie­be zu ihr, der Toch­ter ei­nes Re­gime­kri­ti­kers, wird von sei­ner Mut­ter nicht to­le­riert und sie setzt al­les dar­an die Lie­ben­den zu tren­nen. Als Ka­jan sein Land 1962 an ei­nem Kon­zert der bes­ten Mu­si­ker der kom­mu­nis­ti­schen Län­der in Ost­ber­lin ver­tre­ten darf, ge­lingt ihm, mehr zu­fäl­lig, die Flucht über West­ber­lin nach Ame­ri­ka. In New Or­leans lernt er den für ihn neu­en Mu­sik­stil Jazz ken­nen und ihm ge­lingt die Auf­nah­me in ein Jazz Trio. Als Mu­si­ker zieht er quer durch die USA. In New York lernt er Lands­leu­te aus Al­ba­ni­en ken­nen und es gibt ein über­ra­schen­des Wie­der­se­hen. Doch die Er­in­ne­run­gen an sei­ne Fa­mi­lie und all das Ge­sche­he­ne las­sen ihn nicht los. So reist er 1984 zu­rück nach Al­ba­ni­en auf der Su­che nach sei­nen An­ge­hö­ri­gen. Es wird eine quä­len­de und lan­ge Rei­se die schliess­lich eine un­glaub­li­che Wen­dung nimmt.

«Leg dei­ne Hän­de auf mei­ne», sag­te er zu sei­nem En­kel. Der Jun­ge ge­horch­te. «Fer­tig?», frag­te er. «Fer­tig!», ant­wor­te­te der Klei­ne. Und dann be­gann Ka­jan zu spie­len mit den Hän­den sei­nes En­kels auf sei­nen ei­ge­nen.

Von Dor­nen und süs­sen Früch­ten

Er­mal Meta er­zählt in sei­nem Erst­lings­werk nicht nur Ka­jan Der­vishis er­staun­li­che Le­bens­ge­schich­te, son­dern auch die Ge­schich­te Al­ba­ni­ens. Scho­nungs­los schil­dert er die Grau­sam­kei­ten, de­nen die al­ba­ni­sche Be­völ­ke­rung nach Kriegs­en­de durch das kom­mu­nis­ti­sche Re­gime aus­ge­setzt war. Die Brom­beer­ran­ken auf dem Buch­co­ver, die süs­sen Früch­te und die Dor­nen, wi­der­spie­geln bild­lich den In­halt die­ses mit­reis­sen­den Ro­mans.

Ma­ri­an­ne Cla­va­det­scher, Bi­blio­thek Teu­fen