Vom Frühling zu neuem Leben erweckt

Ap­fel­ta­ge : Ro­man / Mé­lis­sa da Cos­ta ; aus dem Fran­zö­si­schen von Na­tha­lie Lem­mens. – Mün­chen : Pen­gu­in Ver­lag, 2022. (978–3‑328–60291‑0)

Das Buch in den Hän­den, mit den wun­der­schö­nen Ap­fel­blü­ten auf dem Co­ver, denkt man an leich­te Un­ter­hal­tung. Doch schon nach den ers­ten Sei­ten wird klar, dass dem nicht so ist.
Am Tag ih­res 30. Ge­burts­tags zieht Aman­de in ein al­tes, ab­ge­le­ge­nes Haus in der Au­ver­gne. «Vor Kur­zem, sehr Kur­zem, war ich noch neun­und­zwan­zig Jah­re alt. Ich teil­te mein Le­ben seit vier Jah­ren mit Ben­ja­min. Wir hat­ten vor, un­se­re klei­ne Woh­nung im Gross­raum Lyon zu ver­las­sen und in ein Haus auf dem Land zu zie­hen. Aber vor al­lem war ge­ra­de mein ach­ter Schwan­ger­schafts­mo­nat an­ge­bro­chen. Ich be­rei­te­te mich dar­auf vor, Mut­ter zu wer­den. Sie hät­te Ma­non heis­sen sol­len.» Durch ei­nen tra­gi­schen Mo­tor­rad­un­fall ver­liert Aman­de ih­ren Ehe­mann und im Schock ihre un­ge­bo­re­ne Toch­ter.

Ohne En­er­gie und Le­bens­freu­de ver­sinkt sie in Trau­er. Sie kann der Auf­for­de­rung ih­rer Mut­ter, mög­lichst schnell wie­der ar­bei­ten zu ge­hen, um «ihr Le­ben in den Griff zu be­kom­men und nicht in Trüb­sal zu ver­sin­ken», nicht nach­kom­men. Im Ge­gen­teil, sie muss sich von der Ge­sell­schaft, die kei­ne Zeit für Trau­er mehr hat, lö­sen und zieht sich in ein al­tes Haus auf dem Land zu­rück. In der Zeit der Ab­ge­schie­den­heit ent­deckt Aman­de im Haus meh­re­re Ka­len­der, voll mit No­ti­zen vor al­lem zum Gar­ten. Die Vor­be­sit­ze­rin hat sich über vie­le Jah­re sorg­sam auf­ge­schrie­ben, wann, wel­che Ar­bei­ten an­fal­len und wie sie die­se er­le­digt hat. Nach ei­ni­ger Zeit wagt sich Aman­de aus dem Haus und er­kun­det das ver­wil­der­te Grund­stück. Sie be­ginnt an­hand der ge­fun­de­nen Auf­zeich­nun­gen den al­ten, lan­ge ver­ges­se­nen Gar­ten wie­der­zu­be­le­ben und spürt, dass die­se Be­schäf­ti­gung sie nicht nur vom Schmerz ab­lenkt, son­dern in ihr auch neue Le­bens­freu­de weckt.

Die hei­len­de Kraft der Na­tur

Der Ver­gleich vom leid­ge­präg­ten Le­ben von Aman­de und dem ver­las­se­nen, ver­wahr­los­ten Gar­ten, der sich er­holt und wie­der zum Le­ben er­weckt wird, ist wun­der­bar ge­wählt. Wie der Gar­ten all­mäh­lich neu grünt und er­blüht, so fin­det auch Aman­de ganz lang­sam wie­der ins Le­ben zu­rück. Eine gros­se Hil­fe sind ihr da­bei auch die Be­zie­hun­gen zu Ben­ja­mins Fa­mi­lie, wel­che eben­falls, wenn auch jede Per­son auf ihre ei­ge­ne Art, trau­ert. Trau­er, Lie­be und ge­mein­sa­me Er­leb­nis­se zu tei­len ist tröst­lich und Lie­be kann über den Tod hin­aus ge­spürt und ge­lebt wer­den.

Die fran­zö­si­sche Au­torin Me­lis­sa da Cos­ta wur­de 1990 im Bur­gund ge­bo­ren und be­gann schon früh zu schrei­ben. Be­rühmt ge­wor­den ist sie durch ih­ren De­büt­ro­man «Tout le bleu du ciel», den sie im Selbst­ver­lag her­aus­brach­te, weil kein Ver­lag ihn dru­cken woll­te. Mit ih­rem zwei­ten Ro­man «Ap­fel­ta­ge», wel­cher bei ei­nem re­nom­mier­ten fran­zö­si­schen Ver­lag er­schien, er­ober­te sie die Her­zen von Pres­se und Pu­bli­kum im Sturm. Mit viel Fein­ge­fühl be­schreibt die Au­torin die klei­nen Fort­schrit­te so­wie Rück­schlä­ge in der Trau­er­be­wäl­ti­gung. Da­bei ist es ihr ge­lun­gen, die Ge­füh­le der Prot­ago­nis­tin glaub­haft zu schil­dern.

Der Ro­man «Ap­fel­ta­ge» ist ein be­rüh­ren­des Buch, das ei­nem sehr nahe geht – trau­rig, aber nicht de­pri­mie­rend, son­dern eher trös­tend, hoff­nungs­voll und le­bens­be­ja­hend. Ein Buch für alle, die sich auf den Früh­ling freu­en, Frank­reich mö­gen und ger­ne Zeit im Gar­ten ver­brin­gen.

Ka­rin Sut­ter, Bi­blio­thek Teu­fen