Das Leben allein

Al­lein / Da­ni­el Schrei­ber. – Ber­lin : Han­ser, 2021. (978–3‑446–26792‑3).

Auch er­hält­lich als Hör­buch bei Fine Voices (ge­le­sen von Da­ni­el Schrei­ber) und als E‑Book un­ter:

Da­ni­el Schrei­bers Es­say «Al­lein» ent­stand 2021 wäh­rend der Pan­de­mie-Zeit. Der Au­tor schreibt scho­nungs­los über sein Pri­vat­le­ben und er­kun­det auf die­ser Ba­sis ak­tu­el­le Zeit­fra­gen. Er un­ter­sucht das Ide­al der Fa­mi­lie und das Stig­ma des Al­lein­seins. Par­tien­wei­se ist der Text sehr dicht be­stückt mit so­zio­lo­gi­schen, phi­lo­so­phi­schen und li­te­ra­ri­schen Zi­ta­ten. Aber der Au­tor kommt im­mer wie­der auf sich zu­rück und sorgt für eine An­teil­nah­me, die den Le­ser und die Le­se­rin letzt­lich bei sich selbst und der je ei­ge­nen Wahr­neh­mung lan­den lässt.

«Zu kei­ner Zeit ha­ben so vie­le Men­schen al­lein ge­lebt, und nie war ele­men­ta­rer zu spü­ren, wie bru­tal das selbst­be­stimm­te Le­ben in Ein­sam­keit um­schla­gen kann», heisst es im Klap­pen­text. Der Au­tor stellt die Fra­gen, ob Al­lein­sein über­haupt glück­lich ma­chen kann und war­um in ei­ner Ge­sell­schaft von In­di­vi­dua­lis­tin­nen und In­di­vi­dua­lis­ten das Al­lein­le­ben als scham­be­haf­te­tes Schei­tern wahr­ge­nom­men wird.

Über die Freund­schaft

Da­ni­el Schrei­ber lebt ohne Part­ne­rin oder Part­ner, hat aber ei­nen gros­sen Freun­des­kreis. Er ist sich si­cher, dass auch Be­zie­hun­gen, die wir nicht als eng be­zeich­nen, be­deut­sam sind für un­ser in­ne­res Gleich­ge­wicht. Wah­re Freund­schaft be­ru­he – so die ge­sell­schaft­li­che Mei­nung – auf «Gleich­heit und Über­ein­stim­mung», dar­auf, dass wir uns selbst im an­de­ren wie­der­fin­den und um­ge­kehrt. Die­ser Gleich­heits­ge­dan­ke wird vom Au­tor in Fra­ge ge­stellt. Wel­che Spreng­kraft hat ein Freund­schafts­den­ken, das nicht auf Gleich­heit be­ruht, son­dern die Viel­falt des Le­bens fei­ert? Bei al­len Ex­pe­ri­men­ten, auf die man sich in der Pha­se der Ju­gend ein­lässt, wür­den sich die Men­schen auf das Füh­ren ei­ner Part­ner­schaft und die Grün­dung ei­ner Fa­mi­lie fo­kus­sie­ren: Den von der Ge­sell­schaft er­war­te­ten «Nor­mal­fall». Die Freund­schaft wer­de da­bei auf eine Zeit des Über­gangs re­du­ziert, ihr wer­de die Funk­ti­on ei­nes Schwel­len­zu­stands zu­ge­schrie­ben.

Über das Al­lein­sein

Ob­wohl der Au­tor manch­mal un­ter sei­nem ei­ge­nen Al­lein­sein lei­det, ver­steht er es nicht grund­sätz­lich als ei­nen Man­gel, son­dern als et­was, das er ge­nies­sen kann. Als wür­de ihn das Al­lein­sein ein Stück von der Welt ent­frem­den und zu­gleich eine neue Ver­bin­dung zu ihr her­stel­len las­sen. Und doch kann so­zia­le Iso­la­ti­on, wie zur Zeit der Co­ro­na-Pan­de­mie er­lebt, krank ma­chen. Der Au­tor spricht über die Ta­bui­sie­rung der Ein­sam­keit in der Ge­sell­schaft und über die Scham der Men­schen, die­se Ge­füh­le zu zei­gen. Die Pan­de­mie habe ein Schei­tern je­ner Fik­tio­nen, auf de­nen un­ser Zu­sam­men­le­ben be­ruht hat­te, of­fen­ge­legt. Sie hat­te das Po­ten­zi­al, bei den Men­schen ei­nen un­auf­halt­sam wir­ken­den Sinn­ver­lust aus­zu­lö­sen, der zu­nächst ein­mal al­les in Fra­ge zu stel­len schien.

Das Buch be­ginnt und en­det da­mit, wie Da­ni­el Schrei­ber sich in­ten­siv mit Pflan­zen und Gar­ten­ar­beit be­schäf­tigt: Pflan­zen, die ihn von der Kopf­ar­beit ab­len­ken und von de­nen er sich «so et­was wie Er­dung er­hoff­te».

Sa­beth Oert­le, Kan­tons­bi­blio­thek Ap­pen­zell Aus­ser­rho­den