Ändere deine Welt

Än­de­re dei­ne Welt : wie ein Bau­er zum Flucht­hel­fer wur­de / Céd­ric Her­rou ; aus dem Fran­zö­si­schen von Bar­ba­ra He­ber-Schä­rer und An­drea Ste­pha­ni. – Zü­rich : Rot­punkt­ver­lag, 2022. (978–3‑85869–945‑9)

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Als Céd­ric Her­rou 2002 ein ver­wil­der­tes Stück Land in Breil-sur-Roya, an der fran­zö­sisch-ita­lie­ni­schen Gren­ze ge­le­gen, kauft, möch­te er vor al­lem ei­nes: sei­ne Ruhe ha­ben. Mit der Welt und der Ge­sell­schaft, die er oft als un­er­träg­lich emp­fin­det, hat der Aus­stei­ger ab­ge­schlos­sen. Er wid­met sich sei­nem Grund­stück, auf dem er in ei­nem be­schei­de­nen 30 Qua­drat­me­ter-Häus­chen wohnt, macht das Land wie­der ur­bar und lebt fort­an als Oli­ven­bau­er und Hüh­ner­züch­ter.

Er er­lebt je­doch, wie ab 2015 nach und nach die Grenz­kon­trol­len wie­der­ein­ge­führt und die Per­so­nen­frei­zü­gig­keit ein­ge­schränkt wird. An die­sem Ort, nahe der ita­lie­nisch-fran­zö­si­schen Gren­ze, ver­su­chen vie­le Mi­gran­tin­nen und Mi­gran­ten – häu­fig nach dra­ma­ti­scher Flucht – nach Frank­reich ein­zu­rei­sen. Und ge­ra­ten sie in eine Kon­trol­le, wer­den sie sys­te­ma­tisch – und wi­der­recht­lich – nach Ita­li­en zu­rück­ge­scho­ben. Eine Wei­le ver­sucht Her­rou, die­se Pro­ble­me in «sei­nem» Tal zu igno­rie­ren. Doch das Ge­fühl, sich schul­dig zu ma­chen durch ta­ten­lo­ses Zu­se­hen, wächst ste­tig.
Als er 2016 auf dem Nach­hau­se­weg ei­ner Flücht­lings­fa­mi­lie be­geg­net, die am Stras­sen­rand lang­geht, kann und will er nicht mehr weg­se­hen. Er nimmt die El­tern mit ih­ren bei­den Kin­dern kur­zer­hand zu sich nach Hau­se mit. Nach dem sie sich ei­ni­ge Tage bei ihm aus­ru­hen konn­ten, fährt Her­rou sie zum nächst­ge­le­ge­nen Bahn­hof, von wo sie wei­ter ins Lan­des­in­ne­re fah­ren wol­len. Und von die­sem Zeit­punkt an ist sein be­schau­li­ches Le­ben vor­bei. In sei­nem be­rüh­ren­den Be­richt über die un­mensch­li­chen Be­din­gun­gen des Asyl­sys­tems und die Not­wen­dig­keit von hu­ma­ni­tä­rem Han­deln zeigt Céd­ric Her­rou sei­ne ei­ge­ne Ent­wick­lung vom Re­bell, der die Nase voll hat von der Welt, zu ei­nem ei­gen­wil­li­gen Kämp­fer für Ge­rech­tig­keit.
Was er auf die­sem Weg er­lebt und er­tra­gen muss, be­schreibt er ein­drück­lich. So wird er wäh­rend sei­nes drei­jäh­ri­gen Ein­sat­zes für die wür­di­ge Be­hand­lung von Flücht­lin­gen afri­ka­ni­scher Her­kunft elf­mal in Po­li­zei­ge­wahr­sam ge­nom­men. Er wird als Schlep­per ver­un­glimpft und be­kommt teil­wei­se den Hass der Men­schen in der Re­gi­on zu spü­ren, wel­che Angst vor Über­frem­dung und Kri­mi­na­li­tät ha­ben. Sein En­ga­ge­ment in­spi­riert aber auch wei­te­re Men­schen und er schliesst sich mit ver­schie­de­nen Bür­ger­initia­ti­ven zu­sam­men und wird so zum Ge­sicht des zi­vi­len Wi­der­stands in sei­nem Tal.

Grund­satz der Brü­der­lich­keit

Was die Zi­vil­cou­ra­ge Ein­zel­ner für weit­rei­chen­de Aus­wir­kun­gen auf po­li­ti­sche Sys­te­me ha­ben kann, ist in die­sem gut le­ser­li­chen, wenn auch über wei­te Tei­le er­schüt­tern­den Be­richt, nach­zu­le­sen. Céd­ric Her­rou ist es nach sei­nem jah­re­lan­gen Kampf ge­lun­gen, dass der Ver­fas­sungs­rat am 6. Juli 2018 die Brü­der­lich­keit als Ver­fas­sungs­grund­satz an­er­kannt hat. So­mit ist es je­dem Bür­ger ge­stat­tet, ei­nem in Schwie­rig­kei­ten ge­ra­te­nen Men­schen zu hel­fen, ohne sich um des­sen ju­ris­ti­schen Sta­tus küm­mern zu müs­sen oder nach sei­nen Pa­pie­ren zu fra­gen. 2019 grün­de­te er zu­sam­men mit Asyl­su­chen­den die land­wirt­schaft­li­che Ge­mein­schaft Em­ma­üs Roya, die der auf Hil­fe zur Selbst­hil­fe set­zen­den Em­ma­üs-Be­we­gung an­ge­hört. Ein ein­drück­li­ches Buch über ein im­mer wie­der aufs Neue ak­tu­el­les The­ma.

An­net­te Bünz­li-Im­pel­liz­ze­ri, Bi­blio­thek Gym­na­si­um St. An­to­ni­us, Ap­pen­zell