Herzland

Herz­land : Ro­man / Téa Obreht. – Ber­lin : Ro­wohlt Ber­lin, 2020. (978–3‑7371–0079‑3)

Théa Obreht ent­führt uns in ih­rem Ro­man «Herz­land» in den Wes­ten der USA des spä­ten 19. Jahr­hun­derts und wir tau­chen ein in ei­nen fieb­ri­gen, glut­heis­sen, durs­ti­gen Wes­tern. Kei­ne gän­gi­gen Wes­tern-Kli­schees, kei­ne ver­we­ge­nen Cow­boys, kein Marl­bo­ro-Mann, son­dern Sied­ler aus al­ler Welt, die in ärm­lichs­ten Ver­hält­nis­sen ge­gen Hun­ger, Dür­re, Was­ser­knapp­heit und rück­sichts­lo­se Rin­der­ba­ro­ne kämp­fen, sind die Hel­den des sprach­ge­wal­ti­gen Ro­mans.

Nora ist mit ih­rer Fa­mi­lie in die Wüs­te von Ari­zo­na ge­zo­gen. Sie bau­en ein Haus, ei­nen Hüh­ner­stall, schuf­ten, gra­ben, ver­su­chen es mit Scha­fen, schlei­fen Hufe, sche­ren ver­schis­se­ne Wol­le, hof­fen auf bes­se­re Zei­ten.

Die­ses Le­ben schil­dert uns Nora wäh­rend ei­nes ein­zi­gen Ta­ges, an dem sie um ihre Liebs­ten bangt. Ihr Mann und ihre bei­den Söh­ne sind schon seit vie­len Ta­gen un­ter­wegs auf der Su­che nach Was­ser. Sie ist auf sich al­lein ge­stellt mit ih­rem jüngs­ten Sohn und ih­rer Zieh­toch­ter. Dann wird ins Was­ser­haus ein­ge­bro­chen – der letz­te Was­ser­vor­rat ist weg. Ihr klei­ner Sohn glaubt, Spu­ren ei­nes Un­tiers ent­deckt zu ha­ben. Wie kann man so ein Le­ben aus­hal­ten? Die­se Angst? Die­sen Durst?

Von No­ras Ge­schich­te aus switcht die Au­torin im­mer wie­der zur Ge­schich­te von Lu­rie Mat­thie, Wai­se ei­nes Ein­wan­de­rers aus dem Os­ma­ni­schen Reich – auch er ist auf der Su­che nach ei­nem bes­se­ren Le­ben. Als Mit­glied ei­ner Ban­de wird er zum Dieb bis hin zum Mör­der. Er wird per Steck­brief ge­sucht, kann sich aber im­mer wie­der aus der Schlin­ge zie­hen. Auf der Flucht schliesst er sich dem Ka­mel­corps an, mit dem das US-Mi­li­tär ver­sucht, den Wes­ten zu er­schlies­sen. Als die Ar­mee nichts mehr mit den Tie­ren an­zu­fan­gen weiss, schlägt er sich mit sei­nem Ka­mel, das er Bur­ke tauft, jah­re­lang al­lein durch die Wüs­te von Ari­zo­na, hält mit ihm Zwie­spra­che und er­zählt ihm sei­ne Le­bens­ge­schich­te.

Erst am Ende des Bu­ches ver­we­ben sich die bei­den Strän­ge und set­zen an zu ei­nem über­ra­schen­den, gran­dio­sen Schluss, der ei­nem nicht so schnell wie­der los­lässt. Ein kunst­vol­les, frau­en­star­kes Buch, ein Fa­mi­li­en­dra­ma mit im­mer neu­en Wen­dun­gen. Es bie­tet gross­ar­ti­ge Un­ter­hal­tung – ge­nau rich­tig für lan­ge Aben­de zu Hau­se.

Théa Obreht, ge­bo­ren 1985 in Bel­grad, lebt seit ih­rem zwölf­ten Le­bens­jahr in den USA. Ihr De­büt­ro­man «Die Ti­ger­frau» war für den Na­tio­nal Book Award, den be­gehr­ten ame­ri­ka­ni­schen Me­di­en­preis, no­mi­niert und er­schien in 30 Spra­chen. «Herz­land» ist ihr zwei­ter Ro­man.

Ursi Len­den­mann, Bi­blio­Gais