Das wilde Leben der Cheri Matzner

Tra­cy Ba­ro­ne, Das wil­de Le­ben der Che­ri Matz­ner : Ro­man. – Zü­rich : Dio­ge­nes, 2019. (978–3‑257–07055‑2)

«Alle glück­li­chen Fa­mi­li­en glei­chen ein­an­der. Jede un­glück­li­che Fa­mi­lie ist auf ihre ei­ge­ne Art un­glück­lich» (Leo Tol­stoi).

Am 5. Au­gust 1962, am Tag, an dem Ma­ri­lyn Mon­roe an ei­ner Über­do­sis Ta­blet­ten stirbt, ge­bärt eine blut­jun­ge dro­gen­süch­ti­ge Frau ein Mäd­chen, das sie gleich nach der Ge­burt ver­lässt. Das Baby wird vor­über­ge­hend in die Ob­hut ei­ner Pfle­ge­fa­mi­lie ge­ge­ben, bis es schliess­lich vom Ra­dio­lo­gen Sol Matz­ner und sei­ner bild­schö­nen Frau Cici auf­ge­nom­men wird. Cici, eine Ita­lie­ne­rin, hat vor kur­zem eine Fehl­ge­burt er­lit­ten, die sie völ­lig ver­stört zu­rück­lässt.

Sol Matz­ner weiss sich nicht mehr zu hel­fen und ad­op­tiert des­halb ein Er­satz­kind: Che­ri. Zu­min­dest vom müt­ter­li­chen El­tern­teil heiss ge­liebt, wächst Che­ri be­hü­tet und wohl­ha­bend auf, aber sie ist nicht sanft und an­schmieg­sam, son­dern re­bel­lisch, ei­gen­wil­lig und tod­un­glück­lich. Zum Ent­set­zen ih­rer El­tern ar­bei­tet sie als Cop bei der New Yor­ker Po­li­zei, und zwar in ei­ner der ge­fähr­lichs­ten Ge­gen­den Man­hat­tans. Dort ver­liebt sie sich in ei­nen er­folg­rei­chen, aber be­son­ders har­ten Kol­le­gen. Wäh­rend ei­nes Ein­sat­zes mit ihm er­kennt sie sein wah­res We­sen, er­schrickt vor sich sel­ber und stürzt in tie­fe Ver­zweif­lung.

40 Jah­re spä­ter

Che­ri ist mitt­ler­wei­le Pro­fes­so­rin für alte Spra­chen, lebt in ei­ner kom­pli­zier­ten Be­zie­hung mit ei­nem 20 Jah­re äl­te­ren Re­gis­seur mit Kult­sta­tus, kämpft mit Kar­rie­re­ent­täu­schun­gen, Fer­ti­li­täts­pro­ble­men und ei­ner Be­zie­hungs­kri­se. Ihr Ad­op­tiv­va­ter ist in­zwi­schen tot, ihre Mut­ter klam­mert sich an sie und wird für Che­ri zu­neh­mend zur Be­las­tung. Als sie sich ein­ge­ste­hen muss, dass ihre Ehe ge­schei­tert ist, er­fährt sie, dass ihr Ehe­mann Mi­cha­el un­heil­bar krank ist und nur noch kur­ze Zeit zu le­ben hat. Der Le­ser wird in ei­nen Stru­del wil­der Er­eig­nis­se ge­ris­sen.

Ka­thar­sis

«Al­les, was wir ha­ben, ist un­se­re Fä­hig­keit, je­den Mor­gen auf­zu­ste­hen und zu ent­schei­den, wie wir le­ben wol­len – Gu­tes oder Schlech­tes. Ohne das sind wir nichts» (S. 277). Durch den Ver­lust ih­res Ehe­man­nes muss sich Che­ri dem Le­ben neu stel­len. Sie ver­lässt Hals über Kopf ihr Haus und wohnt für ei­ni­ge Zeit im Fe­ri­en­haus ih­rer Freun­din in Ma­li­bu. Sie lernt ei­nen Mann ken­nen, mit dem sie eine kur­ze lei­den­schaft­li­che Zeit ver­bringt. Als er geht, ent­lädt sich ihre lang auf­ge­stau­te Trau­rig­keit und macht Platz für ei­nen Neu­an­fang.

Le­sens­wert

Je­der Cha­rak­ter wird mi­nu­ti­ös be­schrie­ben. Der Ro­man nimmt den Le­ser mit auf eine pa­cken­de, er­grei­fen­de Rei­se mit ei­ner be­wun­derns­wer­ten Frau und vie­len span­nen­den Cha­rak­te­ren, die ihr Le­ben be­völ­kern. Eine stel­len­wei­se ziem­lich aty­pi­sche und schrä­ge Fa­mi­li­en­ge­schich­te, bei de­ren Lek­tü­re es ei­nem nie lang­wei­lig wird und bei der man noch lan­ge ver­wei­len möch­te.

Cor­ne­lia Schmid­li, Bi­blio­thek Schwell­brunn