Eine Million Minuten

Wolf Kü­per, Eine Mil­li­on Mi­nu­ten : wie ich mei­ner Toch­ter ei­nen Wunsch er­füll­te und wir das Glück fan­den. – Mün­chen : Knaus, 2016. (978–3‑8135–0743‑0)

„Ach Papa, ich wünsch­te, wir hät­ten eine Mil­li­on Mi­nu­ten. Nur für die gan­zen schö­nen Sa­chen, weisst du?“

Was ist wirk­lich wich­tig?

Nach Stu­di­um und di­ver­sen Prak­ti­ka ist der Tro­pen­for­scher Wolf Kü­per auf der Kar­rie­re­lei­ter end­lich so weit, dass er als Be­ra­ter für die ver­ein­ten Na­tio­nen ar­bei­ten kann. Dar­auf hat er jah­re­lang un­ter Hoch­druck hin­ge­ar­bei­tet. Nun ver­dient er gu­tes Geld, ist je­doch teil­wei­se wo­chen­lang weit weg von zu Hau­se, wo sei­ne Frau Vera mit den ge­mein­sa­men Kin­dern, der vier­jäh­ri­gen Nina und dem Baby Si­mon, auf ihn war­tet.

Bald wird klar, dass Nina ein ganz be­son­de­res Kind ist. Sie ist in ziem­lich je­der Hin­sicht nicht, wie Kin­der­psy­cho­lo­gen, Päd­ago­gen und Ärz­te sich ein Kind vor­stel­len, und geis­tig so­wie kör­per­lich weit weg vom sta­tis­ti­schen Durch­schnitt al­ters­glei­cher Kin­der. Nina ist of­fi­zi­ell be­hin­dert – oder von ei­nem an­de­ren Pla­ne­ten, wie sie von sich selbst sagt.

Wolf und Vera müs­sen ein­se­hen, dass ihr Fa­mi­li­en­kon­zept mit Nina nicht funk­tio­niert. Als auch von den Ärz­ten wei­ter­hin we­nig er­mu­ti­gen­de Be­rich­te über die Ent­wick­lung sei­ner Toch­ter ins Haus flat­tern, be­schliesst Wolf Kü­per zu­nächst, sei­ne gros­se Be­för­de­rung hint­an­zu­stel­len und zu­rück zur Fa­mi­lie nach Bonn zu zie­hen. Aber auch hier ist das Le­ben von Ter­mi­nen und Hek­tik be­stimmt, was mit ei­nem mehr als ver­träum­ten Kind ein­fach nicht auf­ge­hen will. Denn Nina lebt ihr ei­ge­nes Tem­po. Schu­he an­zie­hen bei­spiels­wei­se dau­ert vier Mi­nu­ten. Pro Schuh!

Als Nina die be­rüh­ren­de Idee von ei­ner Mil­li­on ge­mein­sa­men Mi­nu­ten hat, wird für Papa Wolf bald klar, dass es Zeit ist, neue Prio­ri­tä­ten zu set­zen, denn „die wirk­lich wich­ti­gen Din­ge ste­hen auf den blö­den To-do-Lis­ten ja nicht drauf“ und „es scheint ja für uns Er­wach­se­ne oft völ­lig selbst­ver­ständ­lich, wenn man ei­gent­lich für al­les Zeit hat, aus­ser für die Din­ge, die ei­nem am al­ler­wich­tigs­ten sind“. Und so lässt die Fa­mi­lie ihr al­tes Le­ben für eine Mil­li­on Mi­nu­ten, was bei­na­he zwei Jah­re sind, hin­ter sich.

Der Le­ser wird auf die Rei­se zu­nächst nach Thai­land und spä­ter nach Neu­see­land und Aus­tra­li­en mit­ge­nom­men. Es sind we­ni­ger ge­naue Rei­se­be­rich­te denn Mo­ment­auf­nah­men von für Wolf be­deut­sa­men Er­eig­nis­sen, die lang­sam sein Den­ken ver­än­dern. So kann man wun­der­bar die Ver­wand­lung des ziel­stre­bi­gen Kar­rie­re­man­nes zu ei­nem acht­sa­men und ge­las­se­nen Mann mit­ver­fol­gen. Der Fa­mi­lie be­geg­nen aus­ser­dem im­mer wie­der Per­so­nen, die auf ein­drück­li­che Art dar­an teil­ha­ben las­sen, wie sie – al­len Wid­rig­kei­ten zum Trotz – ihre Träu­me le­ben.

Gros­se Träu­me

Auch Nina hat vie­le Träu­me, bei­spiels­wei­se will sie ger­ne ein­mal Feu­er­wehr­frau wer­den. Aber mit ih­rer Be­hin­de­rung wird die­ser Traum kaum in Er­fül­lung ge­hen. Wie bringt man das sei­nem Kind bei? Sol­len Wolf und Vera zu­se­hen, wie sich Nina ab­müht und quält, um – für sie – un­er­reich­ba­re Din­ge zu ver­su­chen? Oder sol­len sie sie vor dem Schmerz schüt­zen und da­für ihre Träu­me zer­stö­ren?
Aber auch hier nimmt das Le­ben im­mer wie­der wun­der­sa­me Wen­dun­gen und lässt klei­ne Wun­der wahr wer­den.

Die­ses Kind wi­der­setzt sich char­mant al­len Ver­su­chen, sich dem Tem­po der Er­wach­se­nen­welt an­zu­pas­sen. Und so wird das Buch zu ei­ner wun­der­ba­ren In­spi­ra­ti­on, sei­ne ei­ge­nen Prio­ri­tä­ten zu über­den­ken und an­zu­fan­gen, sich Zeit zu neh­men für die Din­ge, die ei­nem am al­ler­wich­tigs­ten sind.

An­net­te Bünz­li Im­pel­liz­ze­ri, Bi­blio­thek Gym­na­si­um St. An­to­ni­us, Ap­pen­zell