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MEDIENTIPPS

Unsere monatlichen Tipps aus den Lokalzeitungen zum Nachlesen

 

Murgia, Michela. Accabadora. - Berlin : Verlag Klaus Wagenbach, 2010.
(ISBN 978-3-8031-3226-0)

Michela Murgia beschreibt in ihrem Debutroman eine eindrückliche Geschichte über eine „Accabadora“ und ein „Kind des Herzens“.

Unter einer „Accabadora“ versteht man in Sardinien eine „Beenderin“, eine Sterbehilfe leistende Frau, die aber ebenso als Geburtshelferin fungiert. Ob es sich dabei eher um eine Legende handelt oder ob sie so tatsächlich existiert haben, darüber sind sich die Anthropologen nicht einig. Ein „fillus de anima“ ist ein Kind des Herzens, der Seele. So nennt man Kinder die zweimal geboren werden, aus der Armut einer Frau und der Unfruchtbarkeit einer anderen. Eine in Sardiniern seit langem praktizierte Form der Adoption, die mit dem Einverständnis der betroffenen Familien, ganz ohne behördliche Formalitäten geschieht, denn sie beruht allein auf Zuneigung. Eine kinderreiche Familie gibt eines ihrer Kinder an ein kinderloses Paar, dafür wird sich das Kind im Alter um sie kümmern. Es bleibt aber auch in Kontakt zu seiner ursprünglichen Familie.

Die Handlung dieses herb poetischen Romans gibt Einblick in die Geschichte eines normalen sardischen Dorfes der 1950er Jahre. Das Leben der Bewohner ist geprägt von der entbehrungsreichen Bauern- und Hirtenkultur; eigentümliche, archaische Traditionen, gewachsen über Jahrhunderte, bestimmen die Gemeinschaft. Zentrale Themen wie Geburt und Tod, begleitet von Freud und Leid, bestimmen in dieser einfachen Welt den Alltag, ebenso wie die religiösen oder heidnischen Rituale, die gepaart mit einer praktischen Einstellung zum Hier und Jetzt das Überleben erleichtern. Hauptfiguren sind zwei ungleichen Frauen; Die alte, verwitwete Schneiderin Bonaria Urrai, eine Accabadora, und ihr „Kind des Herzens“, die sechsjährige Maria Listru. Die ersten Kapitel beschreiben, wie sich die beiden Protagonistinnen einander annähern, wie sie sich kennen-, achten und akzeptieren lernen. Die Junge beobachtet aufmerksam und kritisch, was um sie herum vorgeht. Dabei bemerkt sie, dass die Alte Geheimnisse zu verbergen hat, dass sie mitunter nachts, wenn Maria schlafen soll, Besuch erhält und dann das Haus verlässt. Dem Leser erschliesst sich - dank des allwissenden Erzählers - was Bonarias Besonderheit ist. Spannend ist es, mitzuerleben, wie Maria dies Jahre später erfährt und wie sie darauf reagiert. Es kommt zum Konflikt zwischen Maria und Bonaria, Das Mädchen verbringt daraufhin einige Zeit auf dem Festland in Turin, möchte ein neues Leben beginnen, doch die Vergangenheit holt sie ein mit der Nachricht, dass Bonaria einen Schlaganfall erlitten hat und nun auf ihre Hilfe angewiesen ist.

Weitere Handlungsstränge beschreiben Beziehungen zwischen Frauen und Männern, auch zwischen Maria und dem Jungen Andria, zwischen Eltern und Kindern, zwischen den Nachbarn. Man spürt den Ernst des Lebens in der strengen Dorfgemeinschaft.
Michela Murgia fasziniert mit ihrer kargen, harten doch vitalen Sprache. Die Schilderung der Geschichte ihrer ungewöhnlichen Heldin Maria verbindet Wiederholungen aus verschiedenen Erzähl-Perspektiven mit Elementen aus Legenden, geschrieben in einer sehr bildhaften Sprache. Ein Lesegenuss, der einem zum Nachdenken über das einfache Leben und das Sterben, auch das Selbstbestimmte, anregt, und uns Einblick in ein weitgehend unbekanntes, nicht touristisches Sardinien vermittelt.

Franziska Naef, Bibliothek Speicher Trogen

Arapi, Lindita. Schlüsselmädchen ; aus dem Albanischen von Joachim Röhm. - Berlin : Dittrich Verlag, 2012.
(ISBN 978-3-937717-85-2)

Albanien zur Zeit des Kommunismus. Die kleine Stadt D. gilt als sozialistische Vorzeigegemeinde, die ihre Pflichten sehr ernst nimmt. Bespitzelungen und Verurteilungen gehören zur Tagesordnung. Begierig lauscht die zehnjährige Lodja Lemani von ihrem Küchenfenster aus den Frauen, die allabendlich vor ihrem Elternhaus zusammenkommen und tratschen. Nur Lodjas Mutter bleibt zu Hause, sie ist eine Ausgestossene. Auch Lodja darf nicht nach draussen. Schon lange fragt sie sich, weshalb das so ist. Bis ihre Mutter sie darüber aufklärt, dass ihre Familie eine "finstere" Biografie habe. Lodjas Grossvater, ein Grossgrundbesitzer, widersetzte sich dem Kommunismus und wurde gehenkt. Seitdem gelten die Lemanis als Verräter und sind in der kleinen Stadt nur geduldet.
Als Lodja zu begreifen beginnt, erscheint ihr jede Nacht das Gespenst eines Unbekannten. Es sitzt an ihrem Bettrand und sein kalter Hauch erfüllt Lodja mit Grauen.

Jahre später - Lodja studiert in Belgien - beschliesst sie, in ihre Heimat zu reisen und herauszufinden, was ihr den Seelenfrieden raubt. Diese Reise umspannt die Zeit, als Albanien Widerstand gegen die faschistische Besetzung leistete, die kommunistischen Jahre und die Gegenwart. Drei Generationen von Frauen stehen dabei im Vordergrund: Lodja, ihre Mutter Dritta und ihre Grossmutter Fatime. Letztere nahm ein schreckliches Geheimnis mit ins Grab, ein Geheimnis, das der Toten keine Ruhe gönnt und sie als Gespenst herumgeistern lässt - so zumindest schildern es die Verwandten Lodjas.

Arapi - selbst in Albanien geboren - schildert uns eine Kultur, in der die Sippe mehr zählt als das Individuum, und die Frauen der Willkür der Männer ausgeliefert sind. Aber vor allem ist es eine Kultur, in der das Schweigen und Verdrängen vorherrschen. So, wie Lodja sich ihrer Geschichte stellt, sollten es laut Arapi die Albaner tun. Denn nur dem, der sich erinnert und verzeiht, steht die Zukunft offen. Arapi - in Albanien Schriftstellerin des Jahres 2011 - erzählt davon in ihrem Roman in eindrücklicher Weise.

Cornelia Schmidli, Bibliothek Schwellbrunn

Taniguchi, Jiro. Vertraute Fremde. - Hamburg: Carlsen, 2007.
(ISBN 978-3-551-77779-9)  

Vor drei Jahren habe ich an dieser Stelle L´homme qui marche des Japaners Taniguchi vorgestellt. Damals entdeckten die Franzosen das hochkarätige Werk dieses meisterhaften Autors und Zeichners. Bereits mit zahlreichen japanischen Preisen ausgezeichnet erhielt er am renommierten Festival von Angoulême den Preis für das beste Szenario. Das prämierte Werk hiess Quartier lointain.

Mit einiger Verspätung geht der Stern von Taniguchi nun auch in deutschsprachigen Ländern auf. Quartier lointain wurde unter dem Titel Vertraute Fremde ins Deutsche übersetzt und erhielt sogleich den Preis für den besten Comic des Jahres 2007.

Es ist kein Zufall, dass gerade Taniguchi in Europa so grossen Anklang findet. Zeichnerisch wirkt er wenig japanisch. Seit er nämlich Mitte der 70-er Jahre den frankobelgischen Comic entdeckt hat, ist sein Zeichenstil sehr europäisch geworden. Der Strich ist klar und präzise und erinnert an die Ligne claire von Hergé, dem Schöpfer von Tim und Struppi. Wie bei diesem agieren seine Figuren vor einem detaillierten Hintergrund. Zusammen mit einem anderen Vertreter Ligne claire, dem Franzosen Moebius, hat er das mehrbändige Werk Icaro herausgegeben.

Doch wovon erzählt Taniguchi in Vertraute Fremde? Wie all seine Werke hat auch dieser Manga seinen Ursprung im realen Leben. Der Hauptdarsteller steht in der Mitte seines eher unspektakulären Lebens, als er eines Tages versehentlich in einem Zug sitzt, der in seine Heimat fährt. Er steigt in seiner Geburtsstadt aus und macht sich auf einen Spaziergang durch das Viertel seiner Jugend, wo er auch das Grab seiner Mutter besucht. Dort fällt er in Ohnmacht – und erwacht wieder als vierzehnjähriger Junge. Mit dem Bewusstsein des Erwachsenen erlebt er nochmals seine Jugend im aufstrebenden Japan der Sechzigerjahre. Er beobachtet die gesellschaftlichen und familiären Veränderungen jener Zeit und lässt den Leser teilhaben an seinen Träumen und ängsten. Die Möglichkeit, Einfluss auf die Zukunft zu nehmen, flösst ihm zwar Respekt ein, aber trotzdem entschliesst er sich, einige Begebenheiten aus seiner Lebensgeschichte ein bisschen zu manipulieren. So verblüfft er seine Mitmenschen mit hervorragenden Leistungen in Englisch, Mathematik und Sport. Auch macht er sich Informationen aus der Zukunft zu eigen, um vor allem dem weiblichen Geschlecht zu imponieren. So interessiert sich plötzlich sogar die attraktive Tomoko für ihn. Grösste überwindung kostet ihn dann aber der Versuch, die schmerzlichste Tragödie seines Lebens, nämlich das spurlose Verschwinden seines Vaters, zu verhindern. Er verwirklicht damit einen Traum, den viele Menschen träumen: Er kann die Probleme seiner Jugend mit dem Erfahrungshintergrund des Erwachsenen angehen und hoffen, diese erfolgreicher zu meistern als damals. Ob ihm dies vollumfänglich gelingt, möchte ich nicht verraten. Vertraute Fremde trägt mit dazu bei, den schlechten Ruf der japanischen Comics zu korrigieren. Einige Autoren aus dem Land der aufgehenden Sonne gehören nämlich weltweit zu den besten ihrer Gilde.

Kurt Sallmann, Appenzeller Bibliobahn

Stap, Sophie van der. Heute bin ich blond : das Mädchen mit den neun Perücken ; aus dem Niederländ. von Barbara Heller. - München : Droemer, 2008.
(ISBN 978-3-426-27443-9)

Eine andere Frisur, ein anderer Mensch? Als man bei Sophie van der Stap mit einundzwanzig Jahren Krebs diagnostiziert, möchte sie sich am liebsten verwandeln. Wie Sophie mit ihrer Krankheit fertig wird, ist einzigartig: Nie zuvor hat jemand den Kampf gegen den Krebs derart freimütig, aber auch mit so viel Lebendigkeit beschrieben. Besser kann man die eigene Verletzlichkeit nicht zeigen.

Unheilbar krank und trotzdem das Leben geniessen? Für Sophie ist die Antwort klar: «Ich will zeigen, dass ein Leben mit Krebs möglich ist, dass ich nach wie vor lachen und Dinge geniessen kann, zum Beispiel ausgehen, shoppen, flirten. Dass es sogar unheimlich Spass machen kann, Perücken zu tragen.» Sophie geniesst es, eine Frau zu sein. Eine Frau mit vielen Gesichtern, die intensiv fühlt, intensiv lebt und die einen neuen besten Freund gefunden hat - sich selbst: «Neun Perücken, neun Namen, neunmal so viele Freundinnen und Verehrer, neun Personen, und hinter jeder versteckt sich ein anderes Stück Sophie.» Und sie lernt, dass nicht nur diese neun verschiedenen Persönlichkeiten alle Teil ihres Lebens sind, sondern auch der Krebs. So kämpft sie sich tapfer durch vierundfünfzig Wochen Chemotherapie. Noch nicht geheilt, fängt sie an ihre Geschichte aufzuschreiben und geht auf die Suche nach einem Verlag. So hofft sie vielen betroffenen Frauen einen Weg zu zeigen und ihnen Mut zu machen.

Sylvia Huber, Bibliothek Walzenhausen

Doder, Joshua. Ein Hund namens Grk ; aus dem Englischen von Franziska Gehm, mit Vignetten von Daniel Napp. - Weinheim : Beltz & Gelberg Verlag, 2008.
(ISBN 978-3-407-79930-2)

Timothy Malt lebt als Einzelkind mit seinen Eltern in einem grossen Haus in London. Eines Tages, Tim will gerade, gespielt selbstverständlich, den besten Weg durch den ebenfalls gespielten Dschungel finden, da stösst er, die Arme wild hin und her schlenkernd, auf einen komischen jaulenden Knäuel, der sich, oh Schreck, als Hund entpuppt. Grk eben. Der gehört eigentlich zwei Diplomatenkindern aus Stanislavia, die aber mit ihren Eltern im Gefängnis schmachten, weil Colonel Zinfandel die Macht übernommen hat; in London zurückgeblieben ist eben Grk. Tims Eltern haben wenig für Hunde übrig, und so beschliesst Tim, Grk nach Stanislavia zu bringen. Er hat natürlich keine Ahnung, dass Max und Natasha, die eigentlichen Besitzer, im Gefängnis schmachten, aber nachdem er Zinfandel und den sinistren Oberst Raki kennen gelernt hat, beschliesst er, die beiden Kinder aus dem Gefängnis zu befreien. Nach zahlreichen Abenteuern gelingt ihm das auch, aber wie nun das Land verlassen? Ohne Zweifel, dieses Buch liest sich wie ein packender Agententhriller im Kleinformat - 007 im Dienste ihrer Majestät der Königin lässt grüssen! Und wie dieser kennt Tim keine Gefahren, um sein Ziel zu erreichen. Als 12-jähriger Junge lernt er eine Erwachsenenwelt kennen, in der es einen machthungrigen Diktator, einen brutalen und grausamen Major, einen opportunen Botschafter und sensationsgierige Journalisten gibt. Mutig trifft er in gefährlichen Situationen Entscheidungen, die sich mancher Erwachsener kaum trauen würde. Es ist eine abenteuerliche Geschichte, die Doder erzählt. In ihr verschwimmen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fantasie. Sie stimmt den Leser einerseits traurig, andererseits aber froh und lustig und sie lässt ihn auf ein gut ausgehendes Ende hoffen. Ein «allwissender» Erzähler, den der Autor zwischen sich und den Leser schaltet, schildert spannend, mit viel Witz und Ironie die sich überschlagenden Ereignisse. Dabei greift er kommentierend ins Geschehen ein, vor allem dann, wenn er Dinge aus der «Erwachsenenwelt» kindgerecht erklärt. Leicht verständlich skizziert er die Charaktere seiner Figuren und offenbart deren Gefühls- und Gedankenwelt, so dass es dem Leser nicht schwer fällt zu entscheiden, wem er seine Sympathie schenkt. Ausser Miranda stehen die Erwachsenen in keinem besonders guten Licht: weder Tims geldgierige Eltern, noch der dienstbeflissene britische Botschafter Sir Cuthbert und erst recht nicht der grausame Major Raki und der fiese Oberst Zinfandel. Dagegen erweckt Grk, der Hund, des Lesers volle Sympathie. Er macht seinem Namen, der aus dem Stanislavischen kommt und übersetzt mutig, selbstlos und einfältig heisst, grosse Ehre. Mutig und selbstlos, weil er sein Herrchen in gefährlichen Situationen nicht alleine lässt. Einfältig, weil er als Hund nicht immer die Gedankengänge eines Menschen erraten kann und mehr seinen tierischen Instinkten folgt. Und damit schliesst sich der Kreis: Tim und Grk gehören zusammen, weil sie beide mutig, selbstlos und aus der Sicht der Erwachsenen ein wenig einfältig sind. Gemeinsam meistern sie unglaubliche Abenteuer, die den Leser in ihren Bann ziehen, gerade weil sie so aussichtslos erscheinen.

Apropos Joshua Doder
Der Autor von Grk ist in London geboren und nicht nur ein begnadete Schreiber, sondern liebt grosse Reisen, kommt aber immer wieder nach London zurück, wo er mit seiner blauen Vespa von der Kensingtonroad zum Piccadilly Circus braust. Er sammelt Bücher, die er immer wieder lesen kann, hat eine grosse Anzahl japanischer Porzellantässelchen und -tellerchen, in denen ihm der englische Frühstückstee ganz besonders mundet, und arbeitet, weil es ihm Spass macht. Zum Beispiel in einer Bibliothek, zum Beispiel als Schauspieler und einmal sogar als Chef; wenn das nix ist ... Und zum guten Ende, bevor ich «Unbedingt lesen: Jetzt, sofort und immer wieder!» sage, möchte ich noch darauf aufmerksam machen, dass dasselbe auch für den Folgeband «Grk und die Pelotti-Bande» gilt!

Franziska Bannwart, Gemeindebibliothek Heiden

Moccia, Federico. Ich steh auf dich. - Berlin : List, 2007.
(ISBN 978-3-471-79559-0)

"Ich will sterben. Das hatte ich gedacht, als ich aufgebrochen war. Als ich vor ungefähr zwei Jahren ins Flugzeug gestiegen war. Ich wollte Schluss machen. Genau, ein simpler Unfall war das Beste. Damit sich niemand schuldig fühlte, damit ich mich nicht schämen musste, damit niemand nach dem Grund fragte…"

Nach der schmerzhaften Trennung von seiner ersten grossen Liebe Babi reist Step für zwei Jahre nach Amerika, um seine Trauer zu vergessen und ein neues Leben zu starten. Das Buch "Ich steh auf dich" setzt bei der Rückkehr nach Rom ein, wo Step mit alten und neuen Problemen zu kämpfen hat. Er ist nun erwachsener, und auch in seiner Heimatstadt hat sich vieles verändert; doch seine Freunde sind noch immer die Alten. Die Bewältigung der alten Liebe und der Start der neuen Liebe mit Gin werden von Federico Moccia mit reichlich Gespür und vielen Details erzählt. Step findet einen Job beim Fernsehen, und sein Leben läuft geregelter ab als in früheren Zeiten. Trotzdem gibt es sowohl im Job als auch in der Familie Probleme, die gelöst werden müssen. Doch nach vielen Hochs und Tiefs kann man von einem Happy End reden, auch wenn der Schluss die eigene Fantasie anregt.

"Und so fahre ich davon, sehe, dass sie überrascht ist, dass sie lächelt. Und ich bin glücklich, wie ich es schon lange nicht mehr gewesen bin… Schuldig nur dieses Schriftzugs. Riesengross. Über die ganze Hauswand gegenüber. Leuchtend, direkt, wahr. Und nun habe ich keine Zweifel mehr. Ich habe keine Gewissensbisse, keine Schatten, habe nicht gesündigt, habe keine Vergangenheit mehr. Ich habe nur grosse Lust, von vorne zu beginnen. Und glücklich zu sein. Mit dir, Gin. Ich bin mir sicher. Ja, genauso ist es. Sieh mal, ich habe es auch geschrieben. Ich steh auf dich."

Federico Moccia wurde 1963 in Rom geboren. Seine Bücher haben bei den italienischen Jugendlichen Kultstatus erreicht und sind auch im deutschsprachigen Raum schon sehr beliebt. Wie der erste Band "Drei Meter über dem Himmel" beschreibt auch die Fortsetzung "Ich steh auf dich" die italienische Jugend sehr realistisch. Der Brauch, als Liebesschwur Vorhängeschlösser an der Milvischen Brücke in Rom zu befestigen, wurde zum Beispiel durch Moccias Bücher popularisiert. Wer also mehr über die Lebensweise der italienischen Jugend in Rom erfahren möchte, sollte sich nicht scheuen, Federico Moccias Buch in die Hand zu nehmen, um spannende Stunden mit Lesen zu verbringen.

Annina Schönenberger, Volksbibliothek Appenzell

Meier-Nobs Ursula. Der Sakralfleck : Roman. Zytglogge, 2007.
(ISBN 978-3-7296-0744-6)

Lucas Mongolenfleck und Suworows Feldzug über die Schweizer Alpen

Der Sakralfleck oder Mongolenfleck bezeichnet ein dunkelblaues Geburtsmal in der Kreuz-Steiss-Gesäss-Gegend. Aber das ist nur am Rande von Bedeutung.

Unterschiedlicher könnten Kinderleben nicht verlaufen, das des Mongolenjungen und das des Findelkindes in Mailand. Angesiedelt ist die Geschichte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Bator wächst in behüteter Umgebung in den Steppen der Mongolei mit Eltern, Grosseltern, Onkeln und Tanten auf. Er erzählt uns sein Leben selber, vom Alltag, den Festen, den Freuden, den Streichen, den Zwängen, den Niederlagen. Ungeachtet des schier grenzenlosen Horizonts ist es eine Welt in festen Traditionen, die durch Riten, Sitten und Bräuche dem unbändigen Jungen enge Schranken setzt. Bator verliebt sich in Telema, verstösst gegen die Konvention. Sein Vater bringt ihn ins buddhistische Kloster, wo Bator Schreiben und Lesen lernt, aber auch durch den heilkundigen Onkel in die Krankenpflege eingeweiht wird. Bators Leben ist vorgezeichnet, dennoch kommt alles anders.

Julia-Johanna, als dreiwöchiger Säugling im Mailänder Waisenhaus abgegeben, kennt ihre Herkunft nicht. Einzig ein halbes Medaillon, darstellend den heiligen Christophorus mit dem Jesuskind, nebst einem Brief erinnern an ihre Mutter. Julia erlebt ein paar wunderbare Jahre umsorgt von ihren Pflegeeltern. Nach deren Tod muss sie wieder zurück ins Findelhaus, in die Pia Casa di San Caterina. Strenge Normen, harte Arbeit, Kargheit und Lieblosigkeit prägen den Alltag der unerwünschten, vergessenen Kinder. Doch Julia wächst zu einer starken, jungen Frau heran, die ihr Leben mit Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen meistert.

Ursula Meier-Nobs (geboren 1939 in Bern) lässt ihre Protagonisten stets selber erzählen. Wie in ihren beiden vorherigen Romanen "Musche" (1998) und "Der Galeerensträfling" (2003) weiss die Autorin Fakt und Fiktion gekonnt zu verweben. Wir erfahren viel über die Alltagskultur der Mongolei, über Brauchtum, Buddhismus und Schamanismus. Auch vom elenden Leben im Mailänder Waisenhaus. Suworows Zug über Schweizer Alpen und die Begegnung mit der Mutter Oberin im Kloster wurden sehr sorgfältig recherchiert und nachgezeichnet. Meier-Nobs gelingt dadurch eine berührende Geschichte und macht für uns ein Stück Schweizergeschichte lebendig.

Vreni Mock-Kölbener, Innerrhodische Kantonsbibliothek Appenzell

O`Nan, Stewart. Letzte Nacht. - Hamburg: marebuchverlag, 2008.
(ISBN 978-3-86648-074-2)

Ein grauer Winterabend Ende Dezember. Ein riesiger Parkplatz, den der Schnee wie ein weisses Tuch bedeckt, hier und da von Bulldozern zusammengeschoben: Eisberge, die in der Leere treiben.Unweit der Auffahrt zum Highway ein dunkler Kasten mit einer roten Leuchtreklame- ein Restaurant der Red-Lobster Kette, das morgen endgültig geschlossen wirdMitten im Sommer entführt Sie das Buch in den tiefsten amerikanischen Winter. Das letzte Stündchen des Restaurants "Red Lobster" hat geschlagen. Manny, der Geschäftsführer öffnet ein allerletztes Mal die Türen für seine Gäste und es ist kein leichter Tag für ihn und seine Angestellten. Fast allen wurde gekündigt und Manny weiss nicht, wie er den letzten Tag über die Runden bringen wird. Aber trotzdem ist Manny fest entschlossen, auch an diesem Tag Alles zu geben, er will noch einmal alle Vorbereitungen für einen grossen Ansturm treffen.Jeder soll noch einmal sein Bestes geben im Wissen, dass morgen nichts mehr so sein wird wie es einmal war. Viele Gedanken gehen in seinem Kopf herum. Da ist die Serviererin Jaquie, mit der er ein Verhältnis hatte und die er nach diesem Tag nie mehr sehen wird. Da sind seine Angestellten, von denen er nur fünf an die neue Arbeitsstelle mitnehmen kann. Werden sie ihn an diesem besonderen Tag nicht im Stich lassen und kommen bei diesem Schneetreiben überhaupt Gäste? Ein letztes Mal nimmt er den schweren Schlüsselbund und schliesst die Türe zu seinem Reich auf. Wehmütig lässt er seine Hand über die Fritteusen und den Grill gleiten, kontrolliert die Eismaschine und wärmt die Suppen in den beiden grossen Töpfen auf. Er betrachtet die trägen, in den Ecken versammelten alten Hummer im Aquarium. Dann kommt der erste Angestellte, es ist der behinderte Eddy, der jeden Tag mit dem Bus an seine Arbeitsstelle gefahren wird. Langsam beginnt im Red Lobster der Alltag und Manny und seine Leute schlagen sich mit quengeligen Gästen herum, denen sie auch noch erklären müssen, dass am nächsten Tag das Restaurant nicht mehr offen sein wird. Jeder ist vor allem mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt und Manny muss an allen Ecken und Enden einspringen, beruhigen und Gäste beschwichtigen.Wie Mannys Kollegen diesen Tag bewältigen, was ihnen durch den Kopf geht und wie sie versuchen, den Gästen die Wünsche zu erfüllen, davon handelt dieses Buch.Als sich der Tag dem Ende zuneigt, haben wir auch viel Einblick in Mannys Leben und Gedankenwelt bekommen, einen Kerl mit verpassten Träumen und Sehnsüchten kennengelernt und mitgefühlt beim Abschied vom Red Lobster. Stewart O`Nan lebt in Connecticut und mit diesem, seinem zweiten Buch, ist ihm ein Meisterstück über das Leben der "normalen" Menschen gelungen. Seine Protagonisten sind wie du und ich, gefangen im Kampf ums tägliche Ueberleben und Miteinanderleben, aufgehellt von kleinen Lichtblicken und interessanten Begegnungen.Stephen King hat übrigens über dieses Buch geschrieben:"Letzte Nacht ist ein zutiefst bewegender Roman darüber, wie wir leben - und wie wir den nächsten Tag erreichen, ohne den Verstand zu verlieren".

Trudi Bänziger, Bibliothek Rehetobel

Waldis, Angelika. Die geheimen Leben der Schneiderin. – Zürich : Kein & Aber, 2008.
(ISBN 978-3-0369-5519-3)

Angelika Waldis  Jolanda Hansen sitzt in ihrem Nähatelier und ändert anderer Leute Kleider und in Gedanken auch deren Leben. Ihr eigenes ist festgefahren und illusionslos. Samstag ist Heimtag, da besucht sie ihre verwirrte Mutter, manchmal auch ihren schweigsamen Vater, für den seine Schwester Aprikosenkuchen bäckt. Ihr Liebstes ist Maxi, ihre erwachsene Tochter. Als Jolie noch ein Kind war, sammelte sie besondere Steine und das Glück, das damals noch vom Himmel fiel. Doch die glücklichen Jahre brachen ab, als sie elf war und ihr Bruder Franz im See ertrank. 36 Jahre ist es her seit dem schrecklichen Unglück, als der Vater zu Stein wurde und die Mutter „versank“.

Sätze sammeln
Heute sammelt Jolie besondere Sätze, die sie in ihrem Geschäfts-Journal ganz hinten aufschreibt – Gedanken wie: „Wie wäre es, eine schwarze und eine weisse Hand zu haben?“ – „Ich falte die gewartete Zeit zusammen und gehe.“ – „Hoffnung vergrössert die Flügelspannweite.“ Oder sie schreibt in Gedanken Briefe an ihre Tochter.
Nun plant Jolie ein Familienfest zum 80-sten Geburtstag der Eltern und kommt so auch wieder in Kontakt mit ihren nicht vermissten Geschwistern. Alles hätte seine feste Ordnung, wäre da nicht das geheimnisvolle, fest verschnürte Paket und ihre plötzlich aufkeimenden Zweifel am Tod ihres Bruders. Was wäre, wenn Franz gar nicht ertrunken wäre? Jetzt lässt sich das Leben nicht mehr auf Distanz halten und sie beginnt, ihr eigenes Lebensmuster aufzutrennen. Sie macht sich auf die abenteuerliche Suche nach ihrem Bruder. Sie weiss, es ist nicht nur Franz, den sie sucht, vielmehr sind es ihre eigenen, versunkenen Jahre.

Die Autorin Angelika Waldis
Die Autorin ist 1940 in Luzern geboren, besuchte das Lehrerseminar und studierte anschliessend Anglistik und Germanistik. Sie arbeitete kurze Zeit als Lehrerin und danach als Journalistin. Zusammen mit ihrem Mann, dem Grafiker Otmar Bucher, gründete sie 1982 die Schülerzeitschrift SPICK. 1999 erschien ihre Erzählung „Tita und Leo – eine Feriengeschichte“, für die sie 2000 den Schweizer Jugendbuchpreis erhielt. Mittlerweile sind von ihr mehrere Bücher, auch für Erwachsene, erschienen. 2006 erhielt sie für „Verschwinden“ die Literarische Auszeichnung des Kantons Zürich.
Die geheimen Leben der Schneiderin ist eine Neuerscheinung und Waldis’ erster Roman. Sie erzählt sehr fantasievoll und in stimmungsvollen Bildern. Mit ihren Figuren geht sie erbarmungslos und doch liebevoll um. Ihr gelingt ausgezeichnet, Jolies festgefahrenes Leben, das plötzlich aus den Fugen gerät, fein und in heiteren Farben zu zeichnen. Ein kleines, doch spannendes Buch (mit nur 159 Seiten), das grosses Vergnügen bereitet!

Elisabeth Siller, Bibliothek Herisau

Maalouf, Amin. Die Häfen der Levante . - Frankfurt a.M. : Suhrkamp, 2004.
(ISBN 3-518-45614-8)

„Ich lief ihm in Paris über den Weg, ganz zufällig, in der Metro, im Juni 1976.“

In der Rahmengeschichte erzählt ein Journalist eine Begegnung mit einem Mann, den er von einem Bild in seinem Geschichtsbuch kannte. Dieses Foto war nicht etwa ein Portrait, sondern es zeigte eine Menschenmenge in einem Hafen der alten Welt, wo Widerstandskämpfer der Résistance empfangen wurden. Und unter diesen „Helden“ war ihm immer ein junger Mann besonders in die Augen gestochen und dieser Mann, zwar um Jahre gealtert, aber immer noch unverkennbar, stand vor einem Stadtplan bei der Metrostation. „Kann ich Ihnen helfen?“. Mit diesen Worten kamen sie langsam ins Gespräch und der Mann begann nach anfänglichem Zögern aus seinem Leben zu erzählen.

„Mein Leben begann, sagte er, ein halbes Jahrhundert vor meiner Geburt.“ So schildert er nicht nur sein Leben, sondern auch die Geschichte seiner Familie im Vorderen Orient, in der immer wieder Freundschaften entlang der ethnischen Grabenbrüche eine wichtige Rolle spielten. Sein Vater, ein Muslim, war in Adana im Osten der Türkei aufgewachsen und mit seinem armenischen Lehrer herzlichst befreundet. Beim Beginn des Völkermordes an den Armeniern flüchteten die beiden Familien in den Libanon, ein, den Religionen gegenüber, tolerantes Land. Hier wuchs der Erzähler in einem „frauenlosen“ Haushalt auf, da seine Mutter bei der Geburt seines jüngsten Bruders starb. Nach dem Abitur wollte er in Frankreich Medizin studieren a) weil die medizinische Fakultät in Montpellier sehr renommiert war und b) weil er so seinem dominanten Vater entfliehen konnte, der aus ihm, dem schüchternen, feingliedrigen Mann einen Helden machen wollte. Kaum hatte er mit dem Studium begonnen, zogen am politischen Himmel Europas die schwarzen Wolken des 2. Weltkrieges auf und Ossyan landete, ungewollt, in den Reihen der Résistance. Dort lernte er seine spätere Frau Clara kennen, eine junge Jüdin, die ihre Familie in einem Konzentraionslager verlor. Nach dem Krieg kehrte Ossyan, als Kämpfer in der Résistance nun doch zum Helden geworden, nach Beirut zurück.

Nach einigen Irrungen und Wirrungen trafen sich Ossyan und Clara in Beirut wieder, heirateten und zogen zu Claras Onkel nach Haifa.. Als Clara hochschwanger war, starb Ossyan’s Vater und der Sohn reiste, wegen der sich anbahnenden Spannungen zwischen den arabischen Staaten und Israel auf abenteuerlichen Wegen nach Beirut zur Beerdigung. Die politischen Wirren erlaubten es dem jungen Ehemann nicht mehr zu seiner Frau in Haifa zurückzukehren. Sein Bruder, ein Opportunist und in unerlaubten Geschäften tätig, empfand ihn als Störfaktor und brachte es fertig den kerngesunden 29-jährigen Mann in eine „psychiatrische Klinik einzuweisen“. Hier wurden die Patienten medikamentös willenlos gemacht und dösten stumpf vor sich hin. Erst als ihn seine, inzwischen bald 20-Jährige Tochter, aufsuchte erwachte in ihm ein Überlebenswille, der ihm dann half, bei Beginn der Wirren des Bürgerkrieges aus dieser Klinik zu fliehen. In der Stadt fand er nur noch das zerstörte Elternhaus und den ermordeten Bruder. So entschloss er sich nach Frankreich zu reisen, wo er seine Frau in einem Brief um ein Rendezvous in Paris bittet. Nun ist morgen der Tag dieses Zusammentreffens. Wird Clara kommen?

Lucette Winzeler Dorfbibliothek Stein

 

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