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MEDIENTIPPS

Unsere monatlichen Tipps aus den Lokalzeitungen zum Nachlesen

 

Löhr, Robert. Das Erlkönig-Manöver : historischer Roman. - München, Zürich : Piper, 2007.
(ISBN 978-3-492-04929-0)

Der Herr Geheimrat in geheimer Mission

"Dann, mein Freund, ich bitte dich mit aller Hingabe, die ich aufbringen kann: Bekämpfe diesen Feind! Geh nach Mainz und rette den wahren König von Frankreich." So lautet Herzog Carl Augusts Order an Goethe, der lädiert und verkatert vom nächtlichen Saufgelage mit Freund Schiller, den Auftrag zur Befreiung des Dauphins entgegennimmt. Wir schreiben das Jahr 1805. Napoleons Truppen sind in Deutschland eingefallen, halten Köln und Mainz besetzt. In Deutschland regt sich Widerstand. Lange nicht alle freuen sich über die Segnungen der Revolution, fürchten die Neufranken.

Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich von Schiller und der Naturwissenschafter Alexander von Humboldt machen sich auf nach Frankfurt. Dort schliessen sich ihnen Achim von Arnim und seine Verlobte Bettine von Brentano an. Auch Heinrich von Kleist stösst dazu. Und diese kleine verschworene Truppe nimmt es mit Napoleons Soldaten auf. Erst geht es durch den Hunsrück nach Mainz, wo sie den Dauphin seinen Bewachern abtrotzen. Gemeinsam flüchten sie in den Spessart, dann zum Kyffhäuser. Zurück nach Weimar. Wieder in den Thüringerwald. Soviel zum Inhalt. In fulminanten Bildern hetzt der Autor seine Helden durch die Historie. Wilde Abenteuer, waghalsige Scharmützel, eine Wildschweinjagd, Liebe, Verrat und Mord - die Staffage eines Trivialromans!

Alles erstunken und erlogen?
Keine Quelle belegt diese irrwitzige Befreiungstat. Louis-Charles de Bourbon, Kronprinz und nach der Hinrichtung seiner Eltern, Ludwig XVI. und Marie Antoinette, Thronerbe, starb im Alter von 10 Jahren im Temple-Gefängnis in Paris. Allerdings behauptete seinerzeit ein Uhrmacher mit Namen Karl Friedrich Naundorff, er wäre Ludwig XVII. Und auch um Sophie Botta ranken sich wilde Gerüchte.

Crashkurs durch Büchmanns Zitatenschatz
Allein das Personal dieser Story liest sich wie ein Lehrbuch der deutschen Literaturgeschichte. Maliziös geht der Autor auch mit der Sprache um. Goethe, Schiller und Kleist parlieren, zanken, deklamieren im Diktum ihrer Protagonisten – vor allem ihrer dramatischen Werke. Das Werk strotzt von Zitaten aus Wilhelm Tell, Kabale und Liebe, Wallenstein, Die Räuber, Die Jungfrau von Orleans, Die Verschwörung des Fiesco zu Genua, Demetrius, Faust I und II, Ighigenie auf Tauris, Clavigo, Der Bürgergeneral, Wilhelm Meister, Egmont, Der Prinz von Homburg, Die Hermannsschlacht, Penthesilea, Das Käthchen von Heilbronn, etc., etc. Gleich zu Beginn des Romans zum Beispiel Kleists erste Begegnung mit Goethe: "Hochwohlgeborener Herr von Goethe, ich begegne Ihnen gewissermassen auf den Knien meines Herzens…" Sozusagen wortwörtlich aus Kleists erstem Brief an Goethe vom 24. Januar 1808. Oder das Maleur mit Kleists Manuskript Der zerbrochene Krug. In der Tat fehlt heute eine Lage im Original. Zur Kostprobe zwei weitere bekannte Zitate: "Heinrich, mir grauts vor dir" (Faust I, Kerker) hier Goethe zu Kleist, oder "Der Knabe Karl fängt an, mir fürchterlich zu werden" (Don Carlos, I,6) hier Schiller über den Dauphin. Die Anspielungen sind nicht penetrant, im Gegenteil, sie geben der Geschichte einen Hauch Authentizität. Dem Literaturliebhaber und Theatergänger bereitet das Entdecken der Originalzitate ein zusätzliches Vergnügen. Und wem es nicht gelingt, hat trotzdem Spass an der Lektüre.

Robert Löhr, geboren 1973 in Berlin, ist Schriftsteller, Drehbuchautor, Regisseur, Schauspieler und Puppenspieler und debütierte 2005 mit dem Roman "Der Schachautomat". Ein Roman, der ebenfalls Beachtung fand. Mit diesem neuen Buch ist ihm etwas Besonderes gelungen. Weimars Dichterfürsten erwachen zu neuem Leben, rabauken und greifen in den Gang der Weltgeschichte ein. Fiktion? Jedenfalls hat der Autor mit viel Witz, Wissen und unglaublicher Akribie Recherchen betrieben und sie zu einer amüsanten Dichtung verwoben. Wage ich einen Vergleich zu Ecos Der Name der Rose?

Doris Ueberschlag, Innerrhodische Kantonsbibliothek Appenzell

Groothuis, Rainer. Wie kommen die Bücher auf die Erde? : über Verleger und Autoren, Hersteller, Verkäufer und Gestalter, die Kalkulation und den Ladenpreis, das schöne Buch und Artverwandtes ; nebst einer kleinen Warenkunde. 3., durchges. Aufl. - Köln : DuMont, 2002.
(ISBN 3-8321-3164-7)

Möchten Sie wissen, warum gewisse Bücher mit beiden Händen offen gehalten werden müssen, sofort wieder zuschnappen, kaum greift man mit der einen Hand nach einem Glas oder Bleistift? Ein Hotmelt*-Brocken! Die billigste und schlech-teste Klebebindung*. Diese herstellerischen Sünden* fallen auf und ärgern uns.
Rainer Groothuis beschreibt unterhaltsam den Werdegang von ganz normalen, bezahlbaren Büchern. Die bibliophilen Prachtbände lässt er aus. Es geht hier um Qualitätskriterien, technische und vor allem auch ästhetische. Groothuis beginnt mit dem Vorgang des Lesens selbst. Zu lange Zeilen, zu kleine Schrift, zu enger Durchschuss*, unpassende Schriften* erschweren das flüssige Lesen.
Es geht um Formate, Papiersorten, Schutzumschläge, Layout, von Schmutztitel* bis Anhang* des Buchblocks*. Alles muss geplant, gestaltet und kalkuliert* werden bis das Buch schliesslich gedruckt* und gebunden* wird. Und alles sollte natürlich zum Inhalt passen!
Jetzt liegt das Buch im Laden und sollte uns mit seinem Äusseren zum Anfassen und Blättern verlocken. Ein Umschlaggrafiker hat diese meistdiskutierte Fläche gestaltet. Eine echte Herausforderung! Buchstäblich jeder gibt seinen Senf dazu. Die Wissenschaftsfraktion der Vertreterkonferenz* sagt, es ist zwingend, dass die Titelschrift auf drei Meter Entfernung durchs Schaufenster gelesen werden kann.
Als Käuferin habe ich es da sehr einfach, scheussliche Bücher kaufe ich nicht! Was aber, wenn ich diesen bestimmten Roman möchte und der Autor himself glotzt formatfüllend vom Schutzumschlag herunter! Den schmeisse ich ins Feuer und kann ganz unvoreingenommen seine Prosa geniessen. Oder ich drehe ihn mit zwei, drei Handgriffen um und habe ein wunderbar weisses Buch.

Bibliothekstauglich?
Wer in der Bibliothek Bücher repariert, lernt unheimlich viel über die Technik des Büchermachens. Neunzig Prozent der Patienten sind Kinderbücher. Die werden am stärksten genutzt. Es sind immer wieder Bücher aus den gleichen Verlagen, die geflickt werden müssen und meistens liegt es an der Bindung. Vor einem Har-ry Potter in Einzelseiten aufgelöst, sitz man ziemlich ratlos. Ich würde dem Carl-sen Verlag vorschlagen, bei der Kalkulation des nächsten Bandes eine fadenge-heftete Bibliotheksausgabe zu stiften! Aber der Verlag nutzt die Harry-Potter-Gewinne auch zur Quersubventionierung* von tollen aber schlecht verkäuflichen Büchern.
Rainer Groothuis kennt sich sehr gut in der Verlags- und Preispolitik* aus. Er gibt auch praktische Tipps, wie man schon im Laden eine Ramschklebebindung ent-larvt.
 
Musterbeispiele
Schauen wir ein Buch für die Kleinsten an. Ein Pappbilderbuch. Hier sind die „Seiten“ mehr als einen Millimeter dick, also auch kleine Brocken. Aber hier macht das Stabile, Dicke, Sirupfeste durchaus Sinn. Ein Buch von Nadia Budde: „Flosse, Fell und Federbett“ aus dem Peter Hammer Verlag, ein kleines Kunst-werk für Dreijährige, die noch keine fixierten Sehgewohnheiten und viel Sinn für Sprachklang und Nonsense haben. Da kann man vor dem Einschlafen mit „Hum-meln schummeln oder mit Mopsen hopsen“!
Möchten Sie zum Schluss noch zwei Romane besichtigen? Nehmen wir Brigitte Kronauers „Teufelsbrück“ (Klett-Cotta). Fünfhundert Seiten stark, Leineneinband und mit wunderschönem Schutzumschlag … geklebt gebunden! Das hat mich leicht geärgert. Und jetzt erscheint neu „Verlangen nach Musik und Gebirge“, schön ausgestattet und FADENGEHEFTET, wenn das keine deutliche Sprache ist!
Wenn wir keine grandiosen Texte hätten, was würden uns die schönsten Bücher nützen? Doch schon die Ausstattung eines Buches spricht Bände. Es lohnt sich, ein bisschen mehr darauf zu achten!

*Über die Begriffe mit * schreibt Rainer Groothuis, ein Sachwortregister fehlt, das einzige Haar in der Suppe.

Käthi Bhend, Bibliothek Oberegg

Drvenkar, Zoran. Du bist zu schnell : Roman. - Stuttgart : Klett-Cotta, 2003.
(ISBN 3-608-93623-8)

„Es muss in Sanftheit enden, das bin ihr schuldig“

Heute, morgen, hier, da und jetzt. Gegenwart und Zukunft. Im Roman du bist zu schnell von Zoran Drvenkar verschwindet die Grenze.
Marek hat ein Problem. Er fährt nach Berlin, zusammen mit seiner Freundin Val. Val hat auch ein Problem. Sie nimmt Medikamente, um ihre durch Drogen ausgelöste Psychose fern zu halten. Vor allem aber ist sie in die Fänge der Schnellen geraten. Die Schnellen haben Jenni umgebracht, eine alte Freundin von Val, deren Leiche im Kofferraum ihres Auto ist. Jenni lag vor kurzem noch im Badezimmer von Val. Auf dem Spiegel stand: „Wo bist du gewesen?“. Val weiss es nicht. Sie weiss nur, dass es die Schnellen waren. Die Welt der Schnellen ist anders als die Welt, in der wir leben. Sie ist vollkommen. Die Schnellen wollen nicht, dass man ihre Welt betritt. Sie haben Val schon einmal gewarnt, scheinbar ohne Wirkung. Doch jetzt sind Marek und Val auf der Fahrt nach Berlin. „Braunschweig zieht vorbei, die Eels singen that’s the last time I cry, und Berlin kommt viel zu schnell näher.“ Zusammen mit Jennis Freund Theo werden sie den Kampf aufnehmen, den Kampf gegen die Schnellen, gegen sich selbst, gegen die Zeit.
Schnitt.
Kinderbuchautor
Zoran Drvenkar wurde 1967 in Kroatien geboren, zusammen mit den Eltern zog er nach Berlin.  Er verbrachte seine Kindheit im typischen Gastarbeitermilieu. Seit 1989 ist er als freier Schriftsteller tätig, der neben Theaterstücken und Gedichtbänden sich einen Namen machte, indem er seine Kindheitserinnerungen in Kinderbüchern festhielt. Einige davon erhielten bedeutende Literaturpreise. Zoran Drvenkar hat mit du bist zu schnell einen atemberaubenden Roman vorgelegt, der abwechselnd aus der Sicht der drei Hauptpersonen die Geschichte von Val und ihren Schnellen erzählt. Dabei entsteht ein fiebriger Sog, dem man sich schwer entziehen kann. Wer einmal gefangen ist in der Geschichte um die Schnellen, wird mit Lesen nicht aufhören, bis er beim überraschenden Ende ist. Zoran Drvenkar geht die Geschichte unzimperlich an: Horror und Gewalt tauchen ebenso überraschend auf, wie sie wieder verschwinden. Man weiss bis zum Schluss nicht, was man glauben soll und wem man vertrauen darf. Er lässt Dinge geschehen, die zu schnell sind, um sie wahrzunehmen; Dinge, die man versteht, aber nicht begreift. Am Schluss ist man verloren. Hoffnungslos lässt Zoran Drvenkar seine Personen im Raum stehen. Sie sind zu schnell, keine Chance.
Schnitt
Götter
„Es muss meine romantische Ader gewesen sein, die mich so denken liess. Das und der Wunsch, dass Val die richtige Frau für mich ist und gerettet werden muss“. Marek liebt Val und Liebe macht blind, er würde alles für sie tun. Theo liebt Jenni, er hätte alles für sie getan.  „Wer einmal die Tür zur Psychose aufgestossen hat, hungert danach, sie offen zu halten. Dahinter liegt ein Land der Phantasie, und die Schnellen sind Götter in diesem Land.“

Pascal Moll, Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden, Trogen

Maier, Marcella. Das grüne Seidentuch. 2. Aufl. - St. Moritz : Montabella Verlag, 2005.
(ISBN 3-907067-21-5)

Prägung durch Klima und Landschaft

Ein grünes Seidentuch und ein Spinnrad, mit dem besonders feine Wolle gesponnen wird, werden über die Generationen unter den im Buch beschriebenen vier Frauen weitergegeben. Nicht nur die beiden Gegenstände begleiten sie, auch ein einfaches, kärgliches Leben, harte Arbeit, ständige Geldnot und ‚abwesende’ Männer prägen ihr durch Klima und Landschaft der Berggebiete ohnehin erschwertes Dasein.

Aufbruch
Die zweite Generation, Lisabetta, die Tochter von Alma, zieht von Soglio im Bergell nach Sils-Maria ins Engadin, wo der aufblühende Tourismus am Ende des 19. Jahrhunderts neue Existenzmöglichkeiten bietet. So ist es in der dritten Generation bereits möglich, dass Frauen länger zur Schule gehen und einen Beruf erlernen. Maria wird Hebamme und ihre Tochter Nina arbeitet beim Kurverein in St. Moritz. Die Last der Verantwortung für die Familien liegt über alle vier Generationen zum grössten Teil auf den Schultern der Frauen. Sie ziehen die Kinder meist alleine auf und verdienen den Lebensunterhalt noch mit  zusätzlichen Nebenarbeiten wie Wollespinnen, Backen, Waschen und Führen einer kleinen Pension. Die Männer fallen als Ernährer grösstenteils aus. Sie sterben entweder früh, oder leben wegen Krankheit oder besonderer Umstände von der Familie getrennt. In der letzten Generation erschweren die beiden Weltkriege und die Krisenjahre zusätzlich das Leben.

Oral History
Bewundernswert ist die Kraft, die das Buch durch seine ‚Heldinnen’ ausstrahlt. Es ist keine geschichtliche Abhandlung im wissenschaftlichen Sinne – es ist ‚oral history’, sagt die Autorin im Geleitwort. Die Familiengeschichte wurde mündlich weitergegeben. Die Einfachheit der erzählenden Sprache macht sie gut lesbar und lässt Leserin und Leser mit den darin beschriebenen Personen mitfühlen und -leiden. Die Schwarzweissfotografien im Buch verstärken diese Eindrücke.  Nach Abschluss und Überdenken der Lektüre scheint eine solche Generationengeschichte in vielen Familien möglich. Manche unserer Mütter, Gross- und Urgrossmütter erlebten in den letzten zweihundert Jahren Ähnliches. Die Autorin, Marcella Maier, zitiert im Geleitwort zum Buch Hans Saner, der mit der nachfolgenden Erklärung die Autobiographie von Karl Jaspers eingeleitet hat: ‚Man erfährt nicht das Erlebte, sondern das Erleben des vergegenwärtigten Erlebten, und dies nur als Vorstellung, als Dichtung in einem anderen Sinn.’

Die Autorin
Marcella Maier ist 1920 in St. Moritz geboren, verheiratet und Mutter von vier Töchtern. Sie ist Journalistin, Verfasserin und Mitautorin verschiedener Bücher, die sich vor allem mit Lokalgeschichte, Frauenfragen, sozialen Problemen und dem Tourismus beschäftigen. Sie wurde als eine der ersten Frauen Graubündens in den Grossen Rat gewählt.

Franziska Naef und Iris Schläpfer, Mediothek der Kantonsschule AR, Trogen

Lelord, François. Hectors Reise, oder Die Suche nach dem Glück. 32. Auflage. - München : Piper Verlag, 2004.
(ISBN 3-492-04528-6)

Das Buch “Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück“ beginnt wie ein Märchen: „Es war einmal ein ziemlich guter Psychiater... “
Hector, ein junger Psychiater, ist sehr erfolgreich. Er ist beliebt, weil er zuhören kann und echtes Interesse an den Menschen zeigt. Seine Praxis wird überrennt von Leuten, die eigentlich von ihrer Lebens- und Karriereplanung her glücklich sein müssten. Selbstverständlich hat er auch Patienten, denen es schlecht geht, solche die Gründe haben, unglücklich zu sein. Mit der Zeit merkt Hector, dass ihn die Arbeit nicht mehr freut. Er kann seinen Patienten zwar teilweise mit Therapien und Medikamenten helfen, aber er kann sie nicht glücklich machen. Kurz entschlossen beschliesst er, sich auf eine Weltreise zu begeben, um zu begreifen, was die Leute glücklich oder unglücklich macht. In China trifft er auf einen Jugendfreund, der trotz seines beruflichen Erfolgs nicht sehr glücklich ist. Durch die Begegnung mit Ying Li, einer Edelprostituierten, erfährt er, dass es die Gefühle sind, welche eine Liebesbeziehung ausmachen. Eine todkranke Flugpassagierin lehrt ihn, dass das Glück geliebter Menschen gleich bedeutend mit dem eigenen sein kann. Der amerikanische Professor, dem er seine 23 Thesen unterbreitet, ist eine Kapazität auf dem Gebiet der Glücksforschung und trotzdem nicht gefeit gegen die Eifersuchtsgefühle, die ihn unglücklich machen. So hat jeder Mensch sein individuelles Glück oder Unglück. Mit jeder Begegnung lernt Hector eine neue Betrachtensweise des Glücks kennen. Auf seine Fragen nach dem Glück bekommt er Antworten, die so verschieden sind, wie die Leute, denen er sie stellt. Die 23 Antworten listet Hector akribisch in einem Büchlein auf. Die Thesen helfen ihm nach seiner Rückkehr seine Arbeit besser zu verstehen und die Probleme mit seiner Freundin Carla zu lösen. Die beiden heiraten und wenn sie noch nicht gestorben sind ...

Die Geschichte von Hector, der das Glück sucht, führte monatelang die Bestsellerlisten in Frankreich an. Das Buch wird oft verglichen mit „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry. Vom Inhalt her hält dieser Vergleich nicht stand. Lelords Geschichte bleibt an der Oberfläche, ihr fehlt die feine Poesie. In sprachlicher Hinsicht sind die beiden Bücher vergleichbar. Lelords Buch ist wie „Der kleine Prinz“ in einer einfachen, fröhlichen Sprache geschrieben, die manchmal beinahe naiv wirkt. Trotz diesen Abstrichen ist das Buch sehr lesenswert und verhilft dem Leser, der Leserin zu manchen glücklichen Momenten. Die 23 Antworten regen zum Nachdenken über das eigene Glück oder Unglück an und machen Lust, einen eigenen Glückskatalog zu erstellen.

Der Autor
François Lelord, geboren 1953, studierte Medizin und Psychologie. Bis 1996 arbeitete er als Psychologe. Wie sein Titelheld gab er seinen Beruf auf, um zu reisen und zu schreiben. Nach Jahren in Kalifornien lebt er heute wieder in Paris. 2005 ist sein zweites „Hector-Buch“ erschienen: Hector und die Geheimnisse der Liebe.

Resi Bolzern und Ursula Kupferschmidt, Bibliotheksverein Schwellbrunn

Nicholls, David. Keine weiteren Fragen. - Zürich : Kein & Aber, 2005.
(ISBN 3-0369-5129-6)

Als 2003 David Nicholls Erstlingsroman (Originaltitel: Starter for Ten) in Grossbritannien erschien, dauerte es nicht lange bis er zum Verkaufsschlager wurde. Tom Hanks sicherte sich rasch die Filmrechte, verständlich, da die Hauptfigur wunderbar gezeichnet wird und dem Leser schon nach den ersten Seiten ans Herz wächst. Dank des Verlags Kein und Aber liegt dieser Roman nun in der deutschen Übersetzung in den Regalen der Buchhandlungen und so kommen auch wir in den Genuss den jungen Brian Jackson kennen zu lernen, der mehr vom Leben will und immer wieder über die eigenen Füsse stolpert.
Brian Jackson hat gerade sein Studium begonnen und möchte sich ein Leben aufbauen, das sich um Wissen, Kunst, Literatur und selbstbewusste Frauen dreht. Zweifellos hat er sich seine Ziele besonders hoch gesteckt, und so scheint sein Scheitern beinahe vorprogrammiert zu sein.
Seine Mitbewohner nehmen ihn von Anfang an nicht ernst und die immer schwarz gekleidete Rebecca argumentiert ihn mit Leichtigkeit an die Wand. Kneipen und Partys ziehen ihn magisch an, was seine Leistungen im Studium nicht gerade fördert.
Bereits während der ersten Party verliebt er sich hoffnungslos in die bildhübsche Alice. Obwohl Brian sich intensiv bemüht als komplexe, mysteriöse Persönlichkeit aufzutreten, reagiert die Angebetete nicht wie gewünscht auf seine Verführungskünste. Deshalb überlegt er sich einen todsicheren Plan, um ein für alle Mal ihr Herz zu erobern. Beim intellektuellen Wissensquiz „University Challenge“ möchte er die gesamte Fernsehnation, vor allem aber seine grosse Liebe, in ungläubiges Staunen versetzen. Es ist sein grösster Wunsch an diesem Quiz, den er sich als kleiner Junge mit seinem früh verstorbenen Vater immer angeschaut hat, mit seinem fundierten Wissen zu brillieren. Bei der Durchführung seines Plans stolpert Brian von einem Fettnäpfchen ins nächste, denn es kommt wieder einmal alles anders als vorgesehen.
Mehr von der Handlung zu verraten würde das Lesevergnügen schmälern. Brian kommentiert das Geschehen mit unschlagbarer Selbstironie. Er zeigt uns auf eine sympathische Art wie fehlerhafte Selbsteinschätzung, tiefe Gefühle, zu viel Alkohol und zu wenig Geld in einer Mischung zusammentreffen können, die notgedrungen auf Herzschmerz und Chaos hinauslaufen muss. Bei alldem macht sich Nicholls jedoch niemals auf Kosten seines Helden lustig, vielmehr wird immer wieder deutlich, wie sehr ihm dieser Aussenseiter am Herzen liegt.
Wer sich nun denkt, nicht schon wieder ein belangloser Roman übers Erwachsenwerden und individueller Selbstfindung wird bald eines Besseren belehrt. Nicholls steht als Schriftsteller ganz in der Tradition zeitgenössischer britischer Autoren. Wie Nick Hornby lässt er seinen Protagonisten mit den Tücken des Lebens kämpfen und jeden Fauxpas durch Selbstironie kommentieren. Der typisch britische Humor, der leger-witzige Schreibstil garantieren ein wahres Lesevergnügen. Oft kann man sich ein Schmunzeln nicht verkneifen, denn wir werden an unsere eigenen Kämpfe mit den Hindernissen und Tücken aus dieser Lebensphase erinnert.

Monika Rupp, Gemeindebibliothek Teufen

Laforet, Carmen. Nada. - Berlin : Claassen, 2005.
(ISBN 3-546-00394-2)

Die Freiheit in der Grossstadt

Mit einem Koffer voller Bücher und Träume und mit unbändigem Lebenshunger trifft die Waise Andrea in Barcelona der Vierziger Jahre ein. Die Studentin wartet begierig auf die grosse Freiheit und Unabhängigkeit in der Grossstadt. Infolge des Spanischen Bürgerkrieges zeigt Barcelona aber lediglich seinen vergangenen Glanz. Das Leben bei den verarmten Verwandten reisst Andrea aus ihrer Traumwelt. Eine düstere Realität macht sich breit. Da ist die bigotte, unerbittliche Tante Angustias mit den hohen moralischen Ansprüchen, die Andrea fast ersticken. Da ist Onkel Juan, der sich für einen grossen Maler hält und leicht die Nerven verliert. Seine Wutausbrüche aus Hilflosigkeit und Rache führen zu brutalen Handgreiflichkeiten mit seiner hübschen und naiven Frau Gloria. Sein Bruder Roman schwankt zwischen Genie und Wahnsinn. Mit seiner Boshaftigkeit provoziert er die Familienmitglieder, ihre Frustrationen in heftigen Streitereien auszuleben. Die liebenswürdige, alte und verwirrte Grossmutter steht unfreiwillig mitten in den neurotischen Auseinandersetzungen, denen sie in ihrer Güte mit Verständnis und Verzeihen begegnet. Die Wechselbäder von Emotionen und Ausbrüchen ihrer Verwandten stürzen Andrea in tiefe Melancholie. Sie erlebt eine Welt nie gekannter Armut und Hoffnungslosigkeit. Nach und nach stösst sie auf die Abgründe jedes einzelnen Familienmitglieds.

An der Universität lernt Andrea die geheimnisvolle Ena kennen. Die Freundschaft mit ihr lässt sie wieder etwas aufleben. Sie geniesst die Aufenthalte in Enas wohlhabender Familie. Ena wird immer fremder, unergründlicher. Langsam kommt Andrea hinter das schicksalhafte Geheimnis ihrer Freundin. Nach einem langen, prägenden Jahr verlässt Andrea Barcelona und folgt Ena nach Madrid.

Die Autorin Carmen Laforet
ist 1921 in Barcelona geboren. Kindheit und Jugendzeit verbrachte sie auf den Kanarischen Inseln. Mit 18 kehrte sie wie ihre Protagonistin in ihre Heimatstadt zurück. Drei Jahre später brach sie das Studium ab und lebte von da an in Madrid. Gleich ihr erster Roman wurde 1945 zur Sensation. Für „Nada“ erhielt sie die wichtigste literarische Auszeichnung Spaniens, den Nadal-Preis. Sie schrieb 8 Romane und starb 2004 mit 83 Jahren.
Heute ist „Nada“ wiederentdeckt worden und begeistert in der Übersetzung von Susanne Lange und mit dem Nachwort von Mario Vargas Llosa Leserinnen und Leser von Neuem. Mit ihrer schönen und klaren Sprache gelang es Carmen Laforet, die damalige Zeit in tief beeindruckenden Bildern aufzuzeigen und die Figuren mit ihren Gefühlen und Empfindungen lebendig zu machen. Sie schildert brillant, wie der Bürgerkrieg die Menschen zu Opfern ihrer Lebenssituation gemacht hat, wie sich ihre einstigen Träume verloren in Enttäuschung und im Verlust der Selbstachtung. Dem Leser, der Leserin wird zutiefst bewusst, was alles Kriege bewirken und wie unendlich viel Freiheit bedeutet.
Nada (nichts) ist das Buch keineswegs – es ist ein grossartiges Leseerlebnis!

Elisabeth Siller, Dorfbibliothek Herisau

Churfirsten : über sieben Berge ; hrsg. von Emil Zopfi. - Zürich : AS Verlag, 2006. (Bergmonografie, Bd 14.)
(ISBN 3-909111-22-X)

Kurfürsten – Kuhfirsten – Churfirsten

Wie gut kennen wir unsere Nachbarn? Wussten Sie, dass es in den Churfirsten noch Goldschrecken gibt, die dort die Eiszeit überleben konnten, oder dass der Serenbachfall unterhalb Amdens als einer der höchsten Wasserfälle Europas gilt und an dessen Fuss die gewaltige Rinquelle aus dem Fels hervortritt, die ein riesiges unterirdisches Höhlensystem unter den Churfirsten entwässert?

Herausgeber der hervorragend bebilderten Bergmonografie über die Churfirsten ist Bergsteiger und Krimiautor Emil Zopfi. Uns präsentieren sich Chäserrugg, Brisi, Frümsel und Co. als steile Grashänge. Ganz anders die Sicht aus Obstalden, Zopfis Wohnort: für den passionierten Kletterer bestehen sie primär aus Felswänden. Trotzdem, das Buch ist kein Kletterführer, obschon die Kletterei einen gewichtigen Raum einnimmt, da etliche Bergabenteuer erzählt werden. Ein weiteres Kletterkapitel widmet sich den Bergsteiger-Ehepaaren Brigitte und Paul Etter sowie Gaby und Geny Steiger aus Walenstadt.

Aber nicht nur für Bergflöhe bietet es viel Wissenswertes. Der historische Teil beschäftigt sich mit der Anzahl sieben und dem Namen der Bergkette. Dann wird das Wildenmannlisloch, die hochalpine Wohnhöhle von Steinzeitjägern, beschrieben. Unter den gefundenen Tierknochenreste sind sicher jene des vorgeschichtlichen Höhlenlöwen die Aufsehen erregendsten.

Das Kapitel von Rea Brändle über den Seluner, dem Mann, der im 19. Jahrhundert im Wildenmannlisloch hauste, beginnt so: „Man stelle sich vor: plötzlich ist einer da. Niemand weiss, wie er heisst und woher er gekommen ist. Er scheint kein Vorleben zu haben, keinen Namen, keine Identität, kann weder sprechen noch sonst wie sich verständlich machen und versteht keine Fragen, die man ihm stellt. Das erhitzt die Gemüter, verleitet zu Spekulationen.“

Artikel über Tiere und Pflanzen, über Sagen und Geschichten schliessen an und zeigen ein lebendiges Bild dieser Region, die wir vielleicht eher mit Wintersport verbinden.

Dem Künstler und Briefmarkenstecher Karl Bickel und seinem Paxmal hoch über Walenstadt gilt ein weiteres Kapitel. Aus Dankbarkeit über die Heilung seiner Tuberkulose-Erkrankung hat er in 25 jähriger Arbeit diesen Friedenstempel mit riesigen Mosaiken geschaffen.

Peter Weber, der bekannte Schriftsteller aus dem Toggenburg, beschreibt eine Skiwanderung auf die Brisi. Seine phantasievolle Sprache lässt die Anstrengung des Aufstiegs, die Hochstimmung um das Geleistete, die Natur-Beobachtungen auf dem Gipfel und die stimmungsvolle Abfahrt im Sulzschnee miterleben.

Der Geologie und der Erforschung des „sechsten“ Kontinents, der Höhlensysteme und der Donnerlöcher, sind weitere Kapitel gewidmet. Karst und Kalk prägen die Bergkette, in der man oft Fossilien aus dem Ur-Mittelmeer entdecken kann.

Dann folgen Schilderungen über das Leben auf der Alp und am Fusse der Churfirsten. Das autofreie Dörfchen Quinten am Walensee, Brauchtum aus dem Toggenburg, der Klangweg zwischen Schwendisee und Selamatt sind weitere reizvolle Stationen in dieser Monografie. Sie bietet deshalb jungen und älteren Lesern, Familien oder Alleingängern viel Wissenswertes und Anregungen für einen Besuch beim Nachbarn des Alpsteins.

Lucette Winzeler, Dorfbibliothek Stein

Madieri, Marisa. Wassergrün : eine Kindheit in Istrien. - Wien : Paul Zsolnay Verlag, 2004.
(ISBN 3-552-05316-6)

"25. November 1981. Die Tiefe der Zeit ist eine meiner jüngsten Errungenschaften. Morgens, wenn ich allein in der stillen Wohnung zurückbleibe, finde ich wieder zum Glück des Denkens, zum Schweifen in die Vergangenheit und zum Lauschen auf das Fliessen der Gegenwart." Mit diesen Sätzen beginnt die Autorin nach einer kurzen Rückblende auf ihre ersten Lebensjahre die Aufzeichnungen über ihre Kindheit, immer wieder unterbrochen von Eintragungen aus der Gegenwart.

Heimat
Marisa Madieri führt uns an ihren Geburtsort Fiume, einer erst italienischen, dann jugoslavischen Stadt. Dort lebte sie zusammen mit ihren Eltern und einer Schwester, inmitten eines politischen Konfliktes, der vom übrigen Europa kaum wahrgenommen wurde.

Flucht
Zwischen 1947 und 1948 wurden alle in Fiume verbliebenen Italiener aufgefordert, entweder das Land zu verlassen oder die jugoslawische Staatsbürgerschaft anzunehmen, da die Stadt unterdessen von Jugoslawien besetzt war. Die Familie Madieri entschied sich für Italien und war deshalb bis zur Abreise vielen Ausgrenzungen und Demütigungen ausgesetzt, so wurden sie unter anderem aus ihrer Wohnung ausgewiesen und mussten ein Jahr lang in einem Zimmer hausen, der Vater war im Gefängnis. Die Mutter, ihre beiden Töchter und die kranke Grossmutter Madieri traten allein die Reise nach Triest in eine ungewisse Zukunft an. Als anerkannte Flüchtlinge bezogen sie ein Quartier in Silos, einer Siedlung für Einwanderer.
Ein Auszug aus einer Beschreibung der Autorin über das neue „Zuhause“ in Triest: "Das Erdgeschoss, der erste und der zweite Stock waren fast völlig dunkel, nur der dritte war von grossen Oberlichtern erhellt, die man jedoch nicht öffnen konnte. In jedem Stock war der Raum durch Holzwände in viele kleine Abteilungen gegliedert, die „Boxen“ genannt wurden. Das Betreten des Silos war wie ein Eintritt in eine Art dantesker Landschaft, in ein nächtliches, verräuchertes Purgatorium. Aus den Boxen stiegen Küchendünste und jede Menge anderer Düfte auf, die sich zu einem einzigen, intensiven, typischen und nicht zu beschreibenden Geruch vereinten." Viel Fantasie und Durchhaltevermögen war gefragt, um einigermassen über die Runden zu kommen.

Erinnerungen
Marisa erinnert sich an ein wassergrünes Kleidchen, das ihre Mutter für ein Schulfest genäht hat, damit ihr Töchterchen nicht abseits stehen musste, obwohl für den Kauf des Stoffes ein Pelz und ein Schmuckstück zum Pfandleiher gebracht werden mussten.
Die Autorin besucht als erwachsene Frau immer wieder die Orte ihrer Kindheit, findet viel Vertrautes, einiges kommt ihr armseliger und kleiner vor, wie das oft empfunden wird, wenn man seiner Vergangenheit begegnet.

Das Buch ist aber nicht nur eine Erinnerungen an die Jugend, es enthält auch viele, sehr einfühlsame geschriebene Gedanken zum Älterwerden, so z. B diese Beschreibung, wie Marisa die frühe Alzheimerkrankheit ihrer Mutter erlebte: "Meine Mutter merkte, dass sie dabei war, sich selbst abhanden zu kommen, versuchte verzweifelt, dagegen anzukämpfen, indem sie Bezeichnungen von Gegenständen, -Uhr-Kissen-Stuhl-, auf Zettel schrieb und sie in der Wohnung verstreute. Nutzlose Rettungsringe, ausgeworfen in den Sumpf des Vergessens, der sie verschlang."
Ein sehr lesenswertes Buch über eine von Kriegswirren geprägte Kindheit, ein Erwachsenenleben mit vielfältigen Erinnerungen und schlussendlich eine Auseinandersetzung mit der eigenen Krankheit. Marisa Madieri ist 1996 in Triest gestorben.

Trudi Bänziger, Bibliothek Rehetobel

Weeks, Sarah. SoB.It : Heidis Geschichte ; Jugendroman ab 12 Jahren und Erwachsene. - München : Hanser Verlag, 2005.
(ISBN 3-446-20643-4)

„Meine Mutter liebte mich auf ihre spezielle Art, konnte sich aber nicht allein um mich kümmern, weil sie krank im Kopf ist. Bernie erklärte mir das mal, indem sie Mama mit einer kaputten Maschine verglich. Alle wichtigen Teile sind vorhanden und von aussen sieht sie aus als würde sie prima funktionieren. Im Innern sind viele Rädchen schadhaft und schief oder gar nicht vorhanden, und ohne die läuft ihre Maschine nicht so richtig rund“...

Heidis Leben beginnt an dem Tag als ihre geistigbehinderte Mutter an der Tür von Bernadette klingelt. Aus dem Nichts sind Mutter und Tochter am 19. Februar vor 12 Jahren in Reno/ Nevada aufgetaucht und ziehen in die Wohnung neben Bernadette, genannt Bernie oder Dette. Nur gut, dass es eine Verbindungstür zwischen den beiden Wohnungen gibt, denn Bernie leidet unter Agoraphobie und kann deshalb das Haus nicht verlassen. So leben Heidi, ihre Mutter und Bernie in einer Schicksalsgemeinschaft und alles ist richtig und gut so in dieser kleinen Welt. Als Heidi fünf wird, ein Alter in dem die meisten Kinder in den Kindergarten gehen, bleibt sie zu Hause. Bernie ist diejenige, die Heidi alles beibringt und sie unterrichtet. Ihre Mutter, die sich selber “SoB. It“ nennt, ist dazu nicht in der Lage. Sie kennt gerade mal 23 Wörter, Heidi, SoB. It, gut, nein, blau, raus, heiss, schlimm, fertig, psst, m-hm, bis bald, hallo, Dette, Tee, geh, au, mehr, wieder, schön, nun, Kuss und Soof. Heidis Mutter kann auch alleine Tee machen.

Aber Heidi wird älter und will wissen, woher sie kommt, will herausfinden, wer ihr Vater ist. „Wenn ich die Wahl hätte, wüsste ich lieber Bescheid, als im Dunkeln zu tappen, das will ich ehrlich zugeben“...
So viele wichtige Fragen beschäftigen sie und es ist niemand da, der sie beantworten kann. Eines Tages findet Heidi ein altes Foto ihrer Mutter. Ein junger Mann lächelt neben ihr in die Kamera. Ist das Heidis Vater? Hat das geheimnisvolle Wort „Soof“, das Heidis Mutter immer wieder  selig lächelnd, den Blick in unbekannte Ferne gerichtet vor sich hinmurmelt, eine mit dem Bild zusammenhängende Bedeutung? Heidi will und muss das Rätsel ihrer Herkunft lösen und niemand wird sie daran hindern, auch wenn sie dazu ganz allein bis ans Ende der Welt reisen muss.

Beeindruckend gelingt der Autorin die Beschreibung der Protagonistinnen, die abgesondert und isoliert versucht haben, eine kleine, nicht so schrecklich komplizierte Welt ganz allein für sich zu bewahren. Umso stärker erscheint Heidis Mut, sich aus Enge und Geborgenheit zu lösen und zu emanzipieren und sich ganz allein mit dem Bus quer durch Amerika durchzuschlagen, um sich dieser komplexen Welt zu stellen. SoB.It hat kein Happyend.

Sarah Weeks ist ein eindringlicher, atmosphärisch dichter und ergreifender Roman geglückt. Es ist nicht nur der äussere Handlungsrahmen, der einen beim Lesen nicht mehr loslässt. Es sind vor allem die inneren Welten, die Veränderungen der Figuren und die Chance, sich lesend an ihrem Leben ohne dabei sentimental zu werden zu beteiligen. SoB.It steht auf der Nominationsliste für den Jugendbuchpreis 2006.

Franziska Bannwart, Gemeindebibliothek Heiden

 

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