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Res Brandenberger, Louis.Brot. : Roman. – Langnau : Landverlag, 2014. (ISBN 978-3-905980-21-9)

Wer längerhin liest, weiss es: die Schöne Literatur, auch die auf sogenanntem Weltniveau, kommt von gewissen Themen nicht los. Eines von ihnen, die Literarisierung von Hunger respektive Durst, dürfte von Zeit zu Zeit auch hierzulande auffallen. Das Leiden unter den genannten Grundbedürfnissen menschlicher Existenz sind unlängst – plakativ bis in die Titelgebung hinein – als Romane im Lenos Verlag bzw. bei Kiepenheuer & Witsch erschienen: "Hunger" von Muhammad al-Bissati (Basel 2010, aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich), "Durst" von Michael Kumpfmüller (Köln 2003). Al-Bissati schildert eine notorische Mangel-Situation – und die Not und die Anstrengung, sie zu beheben; Kumpfmüller hingegen erzählt eine individuelle Katastrophe in einer akuten Hochsommerhitze. In keinem der Bücher geschieht ein Wunder, wie wir das aus Märchen kennen, worin oft und gern ein Mangel die Ausgangslage ist.

Nun kann man, in Wohlstandsgesellschaften und im Neuen Testament, hungern und dürsten auch nach abstrakten Werten, nach Erfolgen, nach Frieden oder Gerechtigkeit, aber es geht im Folgenden nicht darum, sondern ums Stillen des Hungers, konkret ums "Brot". Mindestens zwei Büchern mit exakt diesem schlichten Titel bzw. Titelbestandteil kann man begegnet sein. Dem einen als einer Neuerscheinung im Landverlag Langnau, dem andern in einer der ungezählten Auflagen zwischen 1930 und 2000. Versteht sich, dass keins von beiden den Blick verengt auf ein Grundnahrungsmittel; vielmehr weiten beide Titel unseren Wirklichkeitssinn im Stil von Bauern- und Dorfromanen. In mythischer Landschaft verortet respektiv im anders urtümlichen Emmental. Generationengeschichten, episch weit und aufgrund ihrer Figuren anrührend. Das Paradigma möchte man bei Knut Hamsun finden, dem Nobelpreisträger – bei dessen Weltliteratur-Titeln "Hunger" (1890) und "Segen der Erde" (1917).

Zwei „Brot“Romane

Der eine, frühe stammt von Karl Heinrich Waggerl, die Erstausgabe aus dem Jahr 1930 (Leipzig: Insel, 40 Jahre danach ebenda im 110. Tausend verlegt). Beide Ausgaben stehen in Reute. Den anderen hat Res Brandenberger verfasst, überschrieben mit "Louis.Brot.", Erstling eines Autors mit Jahrgang 1959, Schulmeistersohn, Graphiker / Gestalter / Dokumentalist, der sich mit Fünfzig auf eine ausgefallene Familiengeschichte einlässt. Ihre Anfänge sind in Trubschachen angesiedelt; zu erfinden war das Paar Paul und Lisa, ihre Bereitschaft, Eltern zu werden; aufzuziehen sind die Zwillinge Leo und Louis, zu schildern ist ihrer aller Entwicklung, Gedeihen, Zerbrechen.

Die Notation "Louis.Brot." ohne Leerschlag und je Hauptwort mit Punkt ist Kennzeichen des Buches. Dessen nahezu hundert Kapitelüberschriften leiten von Bahn.Hof. und Schul.Bus. über Bier.Glas. / Apfel.Kuchen. / Zahn.Schmerzen. und Atem.Los. zu Himmel.Fahrt. und Fried.Hof. Wer sich im Gemenge der Figuren verirrt, dem kommt am Buchende ein Verzeichnis gelegen. Darin mögen sich, die in Tranchen lesen, Überblick verschaffen; darin holen wir auch – über den Romanschluss hinaus – Gegenwart und Zukunft der Hauptfiguren ein. Ernst genommen heisst das: die geneigte Leserin ist über ihre Lektüre hinaus aufs Laufende gesetzt. Ich habe solche Buchstoff-Übergriffe vor 90 Jahren bei Alfred Döblin, vor 70 bei Kurt Guggenheim, vor 35 bei Gerold Späth erlickt – und nicht mehr vergessen.

Rainer Stöckli, Gemeindebibliothek Reute

 

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