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Diome, Fatou. Der Bauch des Ozeans : Roman ; aus dem Franz. von Brigitte Grosse. - Zürich : Diogenes Verlag, 2006. (Diogenes Taschenbücher ; 23521)
(ISBN 978-3-257-23521-0)

Fatou Diome, geboren 1968 auf einer kleinen Insel im Atlantik, an der Küste Senegals, lebt seit 1994 in Strassburg. Sie studierte Literaturwissenschaften. Mit ihrem Erstlingswerk, „Der Bauch des Ozeans,“ erschienen 2003 im Diogenes Verlag, hatte sie international grossen Erfolg und erhielt den deutschen Literaturpreis.
Fatou Diome erzählt in ihrem Buch, in einer fliessenden, poetischen Sprache Geschichten aus Niodor, ihrer Heimat, Geschichten aus Frankreich, Geschichten von Auswanderung, von Träumen, von Armut und Fussball. In ihrem Buch verwebt sie diese Geschichten zu einem autobiografischen Roman, in dessen Mittelpunkt ihr kleiner Bruder steht.

Im kleinen Inseldorf spielt sich das Leben seit Jahrhunderten gleich ab. Die Frauen bemühen sich Tag und Nacht um das tägliche Couscous, Kleidung und Krankenpflege für die zahlreichen Familienmitglieder. Die Männer fangen frühmorgens ihren Fisch und sitzen den ganzen Tag unter dem Palaverbaum.
Hier versammeln sich die Menschen vor dem einzigen Fernseher, eines heimgekehrten Auswanderers, und schauen sich die Fussballspiele der WM an. In den Werbespots gelangt das Paradies Europa nach Afrika. Eis: eine Traumspeise, die man jenseits des Ozeans bekommt, in jenem fernen Paradies, in dem der kleine Dicke aus der Werbung klugerweise gleich zur Welt kam.

In der Freizeit gibt es für diese Kinder nur Fussball. Echte Bälle sind selten. Doch findig, wie alle Kinder der Dritten Welt, basteln sich die Jungen welche aus Plastiktüten, die sie mit Lappen und Schwämmen ausstopfen. Fortgehen ist oft der einzige Gedanke, der die jungen Inselbewohner beherrscht. Auch Madické, der kleine Bruder, will nur eines: nach Frankreich zu seiner Schwester und ein Fussballstar werden. Doch die Realität für Einwanderer sieht nicht so rosig aus. In Europa muss für alles bezahlt werden. Wasser, Strom, Telefon, Wohnung. Das ist in der Heimat alles umsonst oder gibt es nicht. Jeder hat seine Hütte und jeden Tag frischen Fisch aus dem Meer. In Afrika haben die Menschen nicht viel, aber doch das nötigste. In Europa liegt das Heimweh nach Sonne, Wärme und Gemeinschaft wie ein grosser Stein im Magen und lässt kaum Platz für das ersehnte Fastfood.

Fatou Diome greift auch heikle Themen auf, wie etwa die Polygamie. In einer Gesellschaft, in der die Frau kaum Rechte hat und in der die Männlichkeit noch immer an der Schar der Kinder gemessen wird. Analphabetismus ist weit verbreitet und die Dorfbewohner zeigen kein Verständnis für den Plan der Regierung die allgemeine Schulpflicht einführen zu wollen.

Das wunderbare an diesem Buch ist, dass Fatou Diome immer wieder zwei Wahrheiten, mehrere Sichtweisen zeigt. So schreibt sie z. B. Gebildete Afrikaner wissen, dass auch die Armut inzwischen globalisiert wurde. Es gibt Elende in Frankreich und in Dakar. Aber die Leute ohne Schulbildung träumen immer noch von einem europäischen Paradies. Aber auch über ihre Grossmutter Diese Frau die nicht lesen und schreiben kann hat mir alles wichtige, das ich zum Leben brauche beigebracht.
Das Buch ist eine wunderbare Lektüre zum Thema Emigration. Spannend, poetisch, witzig und vorurteilslos geschrieben. Fatou Diome sagt von sich selber: „Emigranten sagen oft, sie sitzen zwischen zwei Stühlen. Ich sehe das nicht so. Ich habe einen Stuhl, der aus zwei Stühlen besteht – er ist also sehr gross“.

Ursi Kupferschmidt, Bibliothek Schwellbrunn

 

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