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Gross, Peter. Wir werden älter : vielen Dank - aber wozu? Vier Annäherungen. - Freiburg i.B. [etc.] : Herder Verlag, 2013.
(ISBN 978-3-451-30699-0)

Alter wird üblicherweise als eine Art Schreckensszenario beschrieben, mit Schwäche und Krankheit, mit Rentendesaster und Pflegenotfall. Gross stellt diese Argumentation auf den Kopf und beschreibt das Alter als Gewinn für den Einzelnen, aber auch für die ganze Gesellschaft. Älter werden wir alle. Aber warum?

Was bringt uns das Alter in einer Gesellschaft, die das Starke und Schnelle auf einen Podest hebt und prämiert? Alte haben viel zu geben, die Zeit dazu ist vorhanden. Denn alt sein heisst nicht nur Krankheit, Demenz und Altersheimkosten.

Der Tod ist einerseits allgegenwärtig, aber im hohen Alter ist der Tod kein Problem mehr, er kann sogar eine Erlösung sein. Alte Menschen sind frei, da sie keine Angst vor der Zukunft haben. Zeit ist für 70-Jährige vorhanden, jeder Tag kann sinnvoll gefüllt werden. Es sind geschenkte Jahre, die wir gut nutzen können. Langlebigkeit schenkt ein neues, bislang unbekanntes Zeitfenster. Mein Lieblingszitat: „Der gewonnene neue Lebensabschnitt dient biografisch der Selbstreflektion und Selbstkorrektur“. Das Leben, ob es nun das dritte Alter, das neue Alter, „Best Aging“ oder Langlebigkeit genannt wird, im Mittelalter kannte das kaum jemand. Da starben die meisten Menschen früh. Die Fristerstreckung muss auch genutzt werden. Doch das Altsein müssen wir zuerst leben lernen.

Wir treten zurück, werden schmaler. Ein Leib, der nicht altert, ist eine irritierende Vorstellung, genauso wie es der Tod in der Mitte des Lebens ist. Alt werden heisst, einen über die persönliche Geschichte hinausgehenden Sinn erfahren zu dürfen. Alter kann gelebt werden. Mit dem Alter umgehen zu lernen ist nicht erst aktuell, wenn wir schon alt sind. Der Autor spricht vom Lernen, die Alterung umzuwerten, das Schwinden der Kräfte sinnhaft zu machen und die Langlebigkeit mit Neugier und Liebe zu bewältigen.

Das Wachstum der Lebenserwartung bringt viele Chancen mit sich. Neue Studien zeigen, dass Leute zwischen 65 und 80 gesünder sind als die zwischen 55 und 65. Alte Menschen sind keine Komatrinker. Die Hooligans und die Bombenleger sind keine Senioren. Von Alten wird man nicht verprügelt. Alten Menschen vertraut man. Warum also keine alten Polizisten oder Securitas einsetzen?

Peter Gross schreibt von der Entschleunigung. Das Alter macht ruhiger. Alte Gesellschaften sind friedlicher. Alter mässigt eine heiss laufende Gesellschaft. Junge Leute sind heute nicht mehr mit 20 Jahren fertig mit der Ausbildung, oft kommt noch ein zweiter Beruf dazu. Das eigentliche Erwerbsleben beginnt oft erst mir 30 Jahren. Alte Menschen haben Berufserfahrung, die sie bis ins hohe Alter weiter geben könnten. Die Kraft zum Arbeiten hört nicht mit 65 Jahren auf. Die Seniorenklappe wurde noch nicht erfunden.

Stichwort Überalterung: Es heisst immer, es sollte weniger Alte geben. Alte belasten die Gesellschaft. Jedoch wird gerade von jungen Menschen oft vergessen, wie viel auch die alte Generation via Einkommens- und Vermögensteuer an die junge Generation bezahlt.

Ursula Engler, Bibliothek Heiden

 

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