Athos 2643 : Roman / Nils Westerboer. – Stuttgart : Klett-Cotta, 2022. (978-3-608-98494-1)
Auf Athos stirbt ein Mönch. Ein unerklärlicher Unfall im Jahr 2643, denn die lebenserhaltende künstliche Intelligenz MARFA sollte genau das verhindern. Entweder hat die MARFA einen Softwarefehler oder sie wurde mutwillig umprogrammiert. Die einzigen Einwohner des Asteroiden in Neptuns Umlaufbahn: Sechs cönobitische Mönche und ein uraltes Geheimnis. Rüd Kartheiser wird nach Athos entsandt, um eine vollständige Inquisition durchzuführen. Er muss den Tathergang rekonstruieren, um das fehlerhafte Verhalten der MARFA zu identifizieren und ihre Grundeinstellungen anpassen. Vorausgesetzt es gelingt ihm, die künstliche Intelligenz von der Notwendigkeit des Updates zu überzeugen. Denn es besteht durchaus die Möglichkeit, dass diese MARFA des 27. Jahrhunderts der Meinung ist, sie funktioniere einwandfrei.
Nach seiner Ankunft auf Athos wird Rüd Kartheiser klar, was für ein unwirtlicher Ort der Neptunmond ist. Athos ist ein etwa zwei Kilometer langer Gesteinsbrocken, Jahrhunderte früher für den Bergbau ausgehöhlt. Seither beherbergt durch cönobitische Mönche, welche die absolute Abgeschiedenheit suchen. Und alles, was sie am Leben erhält, ist die vermeintlich fehlerhafte künstliche Intelligenz, welche Sauerstoff, Temperatur und Druck regelt, die Nahrungsproduktion kontrolliert und sie permanent überwacht.
Eine Inquisition ist keine Inspektion
Für Rüd Kartheiser ist der Fall ziemlich klar: Irgendwo in den ethischen Grundeinstellungen der MARFA ist ein Fehler. Also beginnt er den Inquisitionsprozess – ein ausführliches Logikgefecht um die künstliche Intelligenz davon zu überzeugen, dass der Fehler existiert und eine Anpassung nötig ist. Als sich jedoch herausstellt, dass, in direktem Widerspruch zu den Glaubensregeln der Cönobiten, der verunfallte Mönch eine Frau war, beginnt Rüd Kartheiser zu zweifeln. Vielleicht handelt es sich doch um Mord. Dann stellt sich heraus, dass die sechs Mönche erst seit wenigen Monaten auf Athos sind. Und sie davor gar keine Mönche waren – Für Rüd Kartheiser äusserst gefährliche Erkenntnisse. Denn seine Missionsparameter sind klar: Er ist auf Athos, um die MARFA neu zu konfigurieren. Er darf keine Nachforschungen anstellen, die nicht direkt mit der MARFA zu tun haben. Doch kann Rüd seine Neugier im Zaum halten?
Vergessen ist eine Fähigkeit
Eigentlich ist Rüd Kartheiser aber gar nicht der Hauptcharakter. Athos 2643 ist erzählt aus der Sicht von Rüds Begleiterin. Zack ist selbst eine künstliche Intelligenz, ausgestattet mit einer holographischen Erscheinung zur visuellen Interaktion mit Menschen. Programmiert auf absolute Loyalität kümmert sich Zack fürsorglich um Rüd, entscheidet aber selbst, wann sie ihm Information vorenthält. Entweder um Unangenehmes zu verschweigen oder um Rüd davon abzuhalten, seine ganze Karriere in den Sand zu setzen. Denn wenn das Geheimnis, das tief in Athos verborgen ist, gelüftet würde, hätte das folgenschwere Auswirkungen für die gesamte Menschheit.
Nils Westerboers Roman ist zugleich Krimi und philosophische Science-Fiction. Eine spannende Ermittlung, die anregt, sich mit Fragen über Zufall, Schicksal, freie Entscheidungen, künstliche Intelligenz und die menschliche Fähigkeit, vergessen zu können, zu befassen.
Laurin Wegelin, Bibliothek Gymnasium St.Antonius Appenzell