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Dschinns / Fatma Aydemir. – München : Carl Hanser Verlag, 2022. (978-3-446-26914-9)
Auch erhältlich als E-Book unter www.dibiost.ch oder als Hörbuch.

Die deutsche Schriftstellerin und Journalistin Fatma Bahar Aydemir mit türkischen Grosseltern wurde 1986 in Karlsruhe geboren und lebt heute in Berlin. „Dschinns“ ist ihr zweiter Roman. Bekannt wurde sie mit dem Roman „Ellbogen“, der 2017 erschien. Die sechs Kapitel im Buch sind sechs Menschen, die miteinander verwandt sind, gewidmet. Jedes Kapitel steht für sich und doch sind sie miteinander verwoben. Schweigen dominiert die Familie. Jeder lebt mit seinen eigenen Geistern, den vergangenen und den gegenwärtigen.

Vielleicht ist Familie ja nichts anderes als das, ein Gebilde aus Geschichten und Geschichten und Geschichten. Aber was bedeuten dann die Leerstellen in ihnen, das Schweigen? Sind sie die Lücken, die das ganze Konstrukt am Ende zum Einsturz bringen werden? Oder sind sie die Luft, die wir zum Atmen brauchen, weil die Wahrheit, die ganze Wahrheit, unmöglich zu ertragen wäre?“ (S. 189)

Der Roman handelt von einer nach Deutschland emigrierten kurdischen Familie, von Mutter, Vater und vier Kindern. Aus Angst vor Verfolgung lassen die Eltern die Kinder im Glauben Türken zu sein. Erst nach dem Tod des Vaters erfahren sie von ihrer kurdischen Zugehörigkeit.

Der Vater, Hüesyn Ylmaz, 60-jährig, wandert 1971 erst ohne Familie nach Deutschland aus. Er arbeitet 33 Jahre in einer Fabrik, gönnt sich und seiner Familie nichts, um sich den Traum eines Wohnungskaufs in Istanbul zu erfüllen. Während des Einrichtens der Wohnung stirbt Hüesyn an einem Herzinfarkt. Die Familienangehörigen reisen auf unterschiedlichen Wegen, rechtzeitig oder zu spät, nach Istanbul, um ihren Ehemann und Baba zu beerdigen.
Emine, die Ehefrau, sehr traditionell und kaum Deutsch sprechend, kommt zwölf Jahre später mit zwei ihrer Kinder nach Deutschland. Ein tragischer Verlust im ersten Ehejahr lässt sie an Depressionen leiden und führt zu vielen Spannungen in der Ehe. In der neuen Heimat integriert sie sich kaum.

Sevda, das älteste Kind, bleibt zwei weitere Jahre bei den Grosseltern in der Türkei. Sie ist sehr ehrgeizig, darf aber nie eine Schule besuchen, da ihre Mutter der Meinung ist, dass dies unnötig sei. Ihren Eltern, vor allem der Mutter, kann sie das nie verzeihen. Früh heiratet sie einen „passenden Mann“, zieht weit weg und bekommt zwei Kinder. Nach der Trennung von ihrem Mann übernimmt sie erfolgreich eine Pizzeria und ist somit in der Lage sich und ihre Kinder zu versorgen.

Die drei jüngeren Kinder, Hakan, ein Macho und arbeitsloser Kleinkrimineller; Perihan, Germanistikstudentin und Feministin; Ümit, 15-jährig, in Deutschland geboren, homosexuell und unglücklich verliebt, balancieren zwischen familiärer Anpassung und dem Versuch ein eigenständiges Leben zu führen.

Fatma Aydemir spricht sehr viele, vielleicht zu viele unterschiedliche Themen an. Von Fremdenfeindlichkeit über Rassismus und Feminismus, über Migration, Abstammung, zerplatzte Träume und Hoffnungen. Manchmal sehr einfühlsam und vorsichtig, manchmal etwas zu klischeehaft.

Auf jeden Fall ein fulminanter, süffiger Roman über Ängste, Geheimnisse, Trauer, Schuld und Wut.

Franziska Tschumi, Bibliothek Herisau

 

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