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Fanny oder Das weisse Land : Roman / Beatrix Kramlovsky. – Berlin : hanserblau, 2020. (978-3-446-26797-8)

Als Offizier Karl Findeisen 1914 in den Krieg zieht, muss er seine grosse Liebe Fanny und den gemeinsamen Sohn Max in Wien zurücklassen. Das Regiment des österreichischen Offiziers wird schon bald darauf in Gefangenschaft genommen und Monate später sitzt Karl in einem Kriegsgefangenenlager in Chabarowsk in Ostsibirien. Zehntausend Kilometer trennen ihn von der Heimat und von seiner geliebten Familie. Die Briefe, die ihm Fanny ins Kriegsgefangenenlager schickt, sorgen dafür, dass sich Karl in der unbarmherzigen Situation nicht aufgibt und die Hoffnung auf ein Wiedersehen nicht verliert. Karl vertreibt sich die lange monotone Zeit mit Zeichnen. Hätte er doch in seinem alten Leben lieber die Kunst- als die Offiziersschule besucht, was in der unsicheren Vorkriegszeit aber unmöglich schien. Das Zeichnen hilft, sein Denken am Leben zu erhalten, so wie die Liebe zu Fanny sein Herz weiter schlagen lässt.

Eineinhalb Jahre später gelingt es dem Roten Kreuz, Karls jüngeren Bruder Viktor, der ebenfalls in Gefangenschaft geriet, in derselben Kaserne unterzubringen. Die Brüder überleben gemeinsam den ersten von vielen grausamen Wintern in Russland. Sie schliessen Freundschaft mit vier weiteren Mitgefangenen, teilen ihre Rationen und was sie an Kostbarkeiten in Paketen aus der Heimat bekommen. Und sie reden über Flucht. Ihr Plan ist es, auszubrechen und dann immer weiter Richtung Westen zu fliehen.

Im Mai 1918 ist es so weit. Die Flucht aus dem Lager gelingt fast lächerlich leicht. Die ersten 3’000 Kilometer lassen die Flüchtenden wie geplant mit der Fahrt in der Transsibirischen Eisenbahn rasch hinter sich. In Irkutsk am Baikalsee ist die Reise dann vorerst zu Ende. Erneut wird die Gruppe von den Kommunisten gefangen genommen. Der Weg nach Westen ist blockiert. Es gibt kein Weiterkommen. Und so verbringen sie einen weiteren Winter fern der Heimat und kämpfen um ihr Überleben. Mithilfe von Karls Malkünsten und einigem Handwerksgeschick finden die Freunde schliesslich einen Weg, dass man sie im Frühjahr 1919 weiterziehen lässt. Sie schaffen weitere Teilstrecken Richtung Westen, jeder Kilometer ist ein Erfolg. Oft erfahren die Flüchtlinge viel Menschlichkeit im kriegsgeplagten Russland. Aber widrige Umstände verzögern auch immer wieder ihre Weiterreise. Und so dauert es allein zwei Jahre, bis sie endlich Sibirien hinter sich lassen. Im Juli 1920 kommen sie schliesslich in St. Petersburg an, von wo aus es nur noch einige hundert Kilometer nach Hause wären! Ausgerechnet hier aber scheint ihr Plan nicht mehr aufzugehen. Sie werden wieder eingesperrt und die meisten ihrer Mitgefangenen überleben den langen, kalten Winter nicht. Die Hoffnung auf eine Rückkehr schwindet von Tag zu Tag.

Der Roman erinnert an die vielen vergessenen Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg, die alles riskierten, um zu ihren Familien zurückzukehren. Es ist eine Geschichte von Menschlichkeit und Freundschaft. Die Autorin Bearix Kramlovsky bezieht sich darin auf Aufzeichnungen eines ehemaligen Berufsoffiziers der K.-u.-k.-Armee und dessen Erinnerungen an seine sibirische Gefangenschaft.

Miriam Hauschildt, Gemeindebibliothek Heiden/Grub

 

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