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Reinhard P. Gruber, 365 Tage. – Graz : Droschl, 2019. (Werke ; Band 9) (978-3-99059-038-6)

Die Zahlenfolge ‘365’ und die Schöne Literatur werden je und je zum Ehepaar gemacht. Schon 1979 sind die Zwei zusammengekommen, unlängst war einmal Graphik (Zeichenkunst) die Braut, neuerdings – 2019 und 2020 – wieder Belletristik. Vor gut vierzig Jahren hat Christa Reinig einen Band mit täglich datierten Kurzgedichten veröffentlicht: zumeist Vierzeiler übers kecke Thema, Müssiggang sei aller Liebe Anfang. So der Buchtitel im Verlag der Eremiten-Presse. Vergangenes Jahr hat Liselotte Lüscher, Jahrgang 1934, einen Band mit Notaten herausgebracht: poetische Texte mit Datum und Ortsangabe entlang der Jahre 1957 bis 2019; manchmal in Reihe von Tag zu Tag, oftmals über grössere Zeiträume hinweggehüpft («… sozusagen», Zürich : edition 8).

Künstler-Tagebuch

Eine Ehe zwischen ‘365’ und Kunst gab es per 2013. Andreas Hofer hat sich vorsätzlich «Jeden Tag eine Zeichnung» (Buchtitel) abgerungen. Im Interesse einer Ausstellung im Rapperswiler Kunst(zeug)haus und mit Hinsicht auf einen Katalog in der Zürcher Edition Howeg. Andere Künstler vor ihm haben ein Ganz-Jahres-Soll und -Haben vorgelegt: tagebuchseriell Blätter, Fahnen, Tuscharbeiten, Zeichnungen – man darf an Druckgraphik von Felix Hoffmann (Aarau), Paul Stöckli (Stans), Herwig Zens (Wien) denken.

Reinhard P. Gruber

Aus meiner Sicht am hartnäckigsten hat der Steiermärker Reinhard P. Gruber ein Jahr lang Daten zu Wort kommen lassen: Niederschriften lückenlos zu exakt 365 Tagen. Texte von fast durchwegs 17 bis 20 Laufzeilen Umfang. Wiederholung und Variation zeichnen das Buch aus. Gruber schreibt als Chronist, nicht als Abenteurer oder Weltreisender, schreibt Journal, keine Reportagen. Bietet eine Auslegeordnung an Jahreszeiten, an Wetterphänomenen (viel Schnee in Stainz!), an gesundheitlich wechselnden Verfassungen, an Gängen durchs Quartier (um dem Hund gerecht zu werden), an Pirouetten der Landespolitik, an religiös diffizilen, vom Kindheitsglauben stimulierten Fragen.

«Ich blättere nie zurück.»

Wer infolge seines zurückgezogenen Daseins, aufgrund seines eben nicht narbenlosen, grad darum schriftstellerisch emsigen Lebensganges zu einer Haltung findet, die jeden Tag als Wiederankommen bei sich selber auffasst, der muss mit der Zeit, die verstreicht, nicht rechten. Altert zwar auch, muss aber kein Hypochonder werden. Zu Grubers Unternehmen, Dezember 2017 bis Dezember 2018 tagtäglich Gewinn und Verlust (beides!) festzuschreiben, hat deshalb strikte gehört, nicht ein einziges Mal zurückzublättern. Für solche Entschiedenheit, keinen Blick über die Schulter weg aufs Vergangene zu richten, gibt es ein Wort; darf man es für einmal positiv aufladen? Da gebe sich Einer ein Jahr lang ‘halsstarrig’. Er stellt sich dreihundertfünfundsechzig Seiten lang der Gegenwart!

Rainer Stöckli, Gemeindebibliothek Reute

Hinweis
Wem an 365 Nächten eher liegt als an Notaten zu 365 Tagen, mag mit einem Sankt Galler Bettenhaus Verbindung aufnehmen; es hat, Dezember 2020, 365 Nächte «Probeschlafen» offeriert.

 

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