Karl-Markus Gauss, Abenteuerliche Reise durch mein Zimmer. – Wien : Paul Zsolnay Verlag, 2019. (978-3-552-05923-8)
Erhältlich auch als E-Book unter www.dibiost.ch
Abenteuer erlebt man in der Regel in der Ferne. Doch momentan liegt diese pandemiebedingt ausser Reichweite. Folgt man dem 1954 in Salzburg geborenen und nach wie vor in der Mozartstadt wohnhaften Karl-Markus Gauss, kann man Abenteuer auch in nächster Nähe erleben: im Reich der Gegenstände eines Zimmers, einer Wohnung, eines Hauses. Es hat sich noch nie so aufgedrängt wie in den letzten Wochen, sich mit den Alltagsdingen in der unmittelbaren Umgebung zu beschäftigen. Man war und ist ja angehalten, nach Möglichkeit zu Hause zu bleiben.
Im Kleinen die Welt entdecken
Es ist erstaunlich, wie Karl-Markus Gauss von den Gegenständen in seiner Wohnung zu geschichtsträchtigen Ereignissen kommt. Als Beispiel sei sein Brieföffner genannt, der aus dem Jahr 1910 und von einer Firma stammt, deren Gründer auch einen Baustoff erfand. Andere Gegenstände, die Gauss von Verwandten geerbt hat, lösen Erinnerungen aus, wie beispielsweise ein Aschenbecher, der einst dem Onkel seiner Mutter gehörte. Man kann lehrreiche und unterhaltsame Wege in das Gelände des Privaten beschreiten sowie auch im Kleinen die Vielfalt und den Reichtum der ganzen Welt entdecken. Viele Menschen beklagten sich in letzter Zeit über Langeweile, über das Eingesperrtsein und über vieles mehr. Wir würden ihnen den Tipp geben, sich auf das Entdecken der Dinge einzulassen, denen man bis jetzt keine grosse Bedeutung beigemessen hat.
Warten
In diesem Buch führt Karl-Markus Gauss auch das Warten, dem in letzter Zeit viele stark ausgeliefert waren, unterhaltsam und philosophisch vor Augen. «Am stärksten ist die Vereinzelung der Wartenden dort, wo sie auf Verkehrsmittel warten, also paradoxerweise zum Bleiben gezwungen sind, um sich fortbewegen zu können. Sie warten in Massen, doch jeder wartet für sich allein. Sie warten auf den Bus, die Metro, den Zug, das Flugzeug, in kleineren, grösseren, riesigen Gruppen, aber da ist kaum einer, der jetzt in einsamen Vollzug des Wartens gestört werden wollte.» Nicht vergessen und unterschätzen sollte man gemäss Gauss die Schlager, die das Warten thematisieren. «Ein Schiff wird kommen» bringt es auf den Punkt: Der Wartende steht in Beziehung zu etwas, das eintreten wird und das sein Warten im Nachhinein rechtfertigt.
Entdeckungsreise
Es gibt zwar einige Abschnitte in Gauss’ abenteuerlicher Reise, die uns weniger ansprachen. Andere wiederum bereiteten uns grosses Vergnügen. Wir haben uns auf das Experiment eingelassen und es in den eigenen vier Wänden versucht. Wir sind sehr überrascht, wie wir nun gewisse Dinge mit völlig anderen Augen betrachten und uns Geschichten dazu eingefallen sind. Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern viel Vergnügen bei ihren eigenen Entdeckungsreisen.
Silvia Streule und Marianne Viher, Volksbibliothek Appenzell