Heinrich Steinfest, Die Büglerin : Roman. München : Piper, 2018. (978-3-492-05663-2)
Erhältlich auch als E-Book unter www.dibiost.ch.
Tonia Schreiber bügelt die Wäsche ihrer vermögenden Heidelberger Kunden mit Perfektion und tief greifender Wirkung, obgleich sie schlecht bezahlt wird. Bügeln ist ihre Form der Busse für eine Tat, die ihr Leben unwiderruflich verändert hat.
Ein Leben unter besten Vorzeichen
Die Tochter renommierter Botaniker verbringt ihre Kindheit und einen Teil ihrer Jugend «schifflich» beschult auf einer Segelyacht und befährt mit ihren Eltern die Weltmeere. Als Tonia vierzehn wird, ändert sich alles. Sie wird in ein Internat nach Genua geschickt. Ein Jahr später gerät die «Ungnadia» in ein heftiges Unwetter und sinkt, ihre Eltern sterben.
Mit dem Tod des Vaters bricht ein Geheimnis auf. Tonia ist nicht das einzige Kind von Max Schreiber. Im ersten Jahr der Ehe hatte dieser ein Zusammensein mit einer anderen Frau, aus dem eine Tochter hervorging: Hannah. Tonia verbleibt im Internat in Italien bis sie volljährig ist. In dieser Zeit entsteht eine Brieffreundschaft zwischen den Halbschwestern. Achtzehnjährig übersiedelt Tonia nach Wien in die elterliche Villa und Hannah zieht zu ihr. Beide studieren an der Universität – während es bei Hannah Jus ist, «scheut sich Tonia nicht, in die Fussstapfen der Eltern zu treten. Allerdings nicht ganz exakt hinein, sondern knapp daneben»: Meeresbiologie. Es werden gute Jahre des Lernens. Hannah zieht bald nach dem Studium aus, heiratet, bekommt mit Emilie eine Tochter, um die sich Tonia immer dann kümmert, wenn Hannah nicht kann.
«Du musst … das Hemd bügeln»
So vergehen die Jahre, bis Emilie bei einem gemeinsamen Kinobesuch von einem Amokläufer erschossen wird und mit diesen letzten Worten auf tragische Weise stirbt. Die kriminalistischen Nachforschungen sind erfolglos. Die geheimnisvolle Tätowierung des Mörders, ein dem «Schwarzen Quadrat» von Kasimir Malewitsch ähnlichen Motiv, ist das einzige gefundene Indiz. Tonia gibt sich die Schuld am Tod ihrer Nichte. Dieser Schicksalsschlag führt zu einem Bruch in ihrem Leben und zur Busse gibt Tonia alles auf: Sie überschreibt die Villa dem chinesischen Haushälterpaar Liang, ihr Vermögen vermacht sie der katholischen Kirche. Sie verlässt ihre Freunde, die Wissenschaft und ihre Heimatstadt Wien und geht mittellos nach Deutschland, zunächst für zwei Jahre nach Hamburg, wo sie als Haushälterin hart arbeitet. Dann geht sie nach Heidelberg, um dort «in eine gewollte Beschränkung auf den Dienst an die zweite Haut der Menschen überzugehen», das Bügeln.
Eines Tages bemerkt sie in einer Whisky-Bar einen Mann. Monate später trifft sie ihn zufällig wieder: Karl Dyballa, Besitzer des Gemüseladens «Das grüne Rollo». Sie treffen sich regelmässig zum Schwimmen und es entwickelt sich eine rein platonische Beziehung. Doch das Leben ist noch nicht ganz fertig mit ihr: Der Zufall spielt ihr ein Hemd mit einem aufgestickten Malewitsch’schen schwarzen Quadrat in die Hände. Tonia recherchiert, stösst dabei auf Hinweise und beginnt die Umstände um Emilies Tod aus einer anderen Perspektive aufzurollen.
Heinrich Steinfest hat etliche Bücher geschrieben, von denen einige ausgezeichnet wurden. «Die Büglerin» wurde 2018 für den Österreichischen Buchpreis nominiert – berechtigterweise, meiner Meinung nach. Steinfest ist mit seiner Büglerin ein genialer Wurf gelungen, sprachlich brillant und einfallsreich. Eine Wonne zu lesen.
Anna Lutz, Bibliothek Speicher Trogen