Friedrich Glauser: “Die Speiche”

Fried­rich Glau­ser, Die Spei­che. – Zü­rich : Uni­ons­ver­lag, 2005. (978–3‑293–20335‑8).

Wacht­meis­ter Stu­der und sei­ne Frau sind ins Ap­pen­zel­ler­land ge­reist, um die Hoch­zeit ih­rer Toch­ter zu fei­ern. Als die Fest­ge­sell­schaft am spä­ten Abend auf­bre­chen will, wird eine Lei­che im Gar­ten hin­ter dem Gast­hof ent­deckt. Die Wir­tin, Stu­ders ehe­ma­li­ger Schul­schatz, bit­tet den Ber­ner Fahn­der um kri­mi­na­lis­ti­sche Hil­fe, in der Hoff­nung auf schnel­le Auf­klä­rung des To­des­fal­les. Je tie­fer Stu­der in die frem­den Ver­hält­nis­se des Dor­fes ein­taucht, des­to mehr nimmt die pro­vin­zi­el­le An­ge­le­gen­heit in­ter­na­tio­na­le Züge an.

«Die Spei­che» ist Glau­sers kür­zes­ter und zu­gleich letz­ter Wacht­meis­ter-Stu­der-Ro­man und war eine Auf­trags­ar­beit von Max Ras, Grün­der und Re­dak­tor des «Schwei­ze­ri­schen Be­ob­ach­ters». Im Mai 1937 schrieb Glau­ser, des­sen Le­ben ge­prägt war von Ent­mün­di­gung, Dro­gen­ab­hän­gig­keit und ins­ge­samt acht Jah­ren In­ter­nie­run­gen in psych­ia­tri­schen An­stal­ten, an den be­freun­de­ten Fo­to­gra­fen Gott­hard Schuh: «Die Sa­che ist die, dass Ras vom ‹Be­ob­ach­ter› ei­nen kur­zen Ro­man von mir brin­gen will und zu­gleich als An­kün­di­gung eine Ab­hand­lung über den Glau­ser. (…) Und dar­um habe ich zu­ge­grif­fen, mö­gen mei­ne Kol­le­gen über mich schnö­den oder nicht. Es ist mir lan­ge ge­nug schlecht ge­gan­gen, war­um soll ich jetzt nicht ein we­nig pro­fi­tie­ren, wenn ‹just around the cor­ner the­re is a litt­le suns­hi­ne for me›? Und wenn es auch nur ein we­nig ist, so hab ich ihn be­zahlt, den ‹suns­hi­ne›.» Von Mit­te Mai bis Ende Juni hat­te Glau­ser alle 14 Ka­pi­tel nie­der­ge­schrie­ben und ver­wand­te da­bei viel Lo­kal­ko­lo­rit aus dem Ap­pen­zel­ler­land. Hin­ter dem fik­ti­ven Dorf Schwar­zen­stein ver­steck­te sich zum Bei­spiel die Ort­schaft Grub. Glau­ser kann­te das Dörf­chen und die Ge­gend aus ei­nem Fe­ri­en­auf­ent­halt 1936 mit sei­ner Le­bens­ge­fähr­tin Ber­the Ben­del. So in­te­grier­te er auch da­mals be­kann­te Per­so­nen in sei­nen Ro­man: Die rea­le Wir­tin Anna To­bler, wel­che den «Och­sen» (im Ro­man wird dar­aus das Ho­tel «Hir­schen») führ­te, heisst in der «Spei­che» Anna Rech­stei­ner. Und auch für den kran­ken Wirt Karl Rech­stei­ner gab es ein Vor­bild: In Grub leb­te da­mals ein rei­cher Ze­del­be­sit­zer mit dem Über­na­men «Be­ckens». So­gar das alte Haus mit Werk­statt und der Fi­gur Ernst Graf exis­tier­te: Ein Dorf­o­ri­gi­nal na­mens Hans Graf, ge­nannt «Ve­lo­hans», war be­kannt für die Un­ord­nung um sei­ne Lie­gen­schaft her­um.

Die Hoff­nung auf «a litt­le suns­hi­ne for me» zer­schlug sich für Glau­ser al­ler­dings ein­mal mehr. Trotz des zu­neh­men­den Er­folgs sei­ner Stu­der-Kri­mis ent­glitt ihm sein Le­ben er­neut. Acht­zehn Mo­na­te nach der Nie­der­schrift der «Spei­che» bat er Max Ras brief­lich ver­zwei­felt um Geld: «Wir ha­ben kei­nen Rap­pen mehr, un­se­re Hei­rat steht vor der Tür, wir soll­ten le­ben, und ich geh vor Sor­gen ziem­lich in die Brü­che. (…) Ich hab aus­ser Ih­nen kei­nen Men­schen, an den ich mich wen­den kann. (…) Ich weiss nicht mehr, was tun. Mein Gott, ich glaub, Sie ken­nen mich ge­nü­gend, um zu wis­sen, dass ich nicht der Mensch bin, der sich ger­ne bei an­de­ren ein­schmei­chelt und par­tout jam­mert, um et­was zu er­hal­ten. Sie wis­sen, dass mein Le­ben nicht im­mer ro­sig ge­we­sen ist. Nur bin ich müde jetzt und weiss nicht, ob es sich lohnt, wei­ter­zu­ma­chen.» Ras über­wies dar­auf­hin ei­nen Geld­be­trag, hat­te in der Zwi­schen­zeit aber das In­ter­es­se an Glau­sers li­te­ra­ri­schen Ar­bei­ten ver­lo­ren. Kurz vor der ge­plan­ten Hoch­zeit traf Ras’ letz­ter Brief mit ei­nem zu­rück­ge­sand­ten Text ein. We­ni­ge Tage spä­ter brach Glau­ser un­er­war­tet zu­sam­men und starb 42-jäh­rig in den ers­ten Stun­den des 8. De­zem­ber 1938.

Ge­rold Eb­ne­ter, Me­dia­thek der Kan­tons­schu­le Tro­gen